Armin Laschet:Ein Satz aus Angst

Lesezeit: 2 Min.

Aus Afghanistan nach Naumburg, Deutschland - hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2015. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

"2015 darf sich nicht wiederholen", sagt nun der Kanzlerkandidat der Union. Abgesehen davon, dass dies unwahrscheinlich ist: Warum eigentlich nicht?

Kommentar von Gökalp Babayiğit

Ob Politik funktioniert oder nicht, ist zu einem erheblichen Teil eine Frage der Kommunikation: was jemand sagt und tut und wie man verstanden wird. Armin Laschet hat in den vergangenen Tagen auch richtige Dinge gesagt - lässt man mal außer Acht, dass er all dies auch schon vor Wochen hätte sagen können, als sich die Afghanistan-Katastrophe bereits abzeichnete. Laschet machte konkrete Vorschläge, was zu tun sei: Er warb für eine Luftbrücke, über die "so viele Ortskräfte wie möglich" in Sicherheit gebracht werden sollten. Und er stellte das Schicksal der Frauen in den Vordergrund, die im nun wieder von den Taliban kontrollierten Land Furchtbares erwartet. Aber Armin Laschet sagte auch: "2015 darf sich nicht wiederholen." Ein Satz, der in vielerlei Hinsicht problematisch, vielleicht sogar schändlich ist.

Es geht schon damit los, dass die Situation von 2015 kaum mit jener von 2021 vergleichbar ist. Eine bis nach Europa reichende "große Fluchtbewegung", wie Laschet es ausdrückte, ist kaum zu erwarten. Während die Syrerinnen und Syrer, die damals um ihr Leben fürchteten, 2015 offene Grenzen bis nach Deutschland überqueren konnten, kommen die afghanischen Schutzsuchenden 2021 gar nicht aus ihrem Land. Und selbst wenn ihnen dies gelänge: Spätestens an der iranisch-türkischen, allerspätestens an der türkisch-griechischen Grenze wäre Schluss. Das weiß Laschet.

Als ob das, was 2015 geschah, ein rein negatives Erlebnis war!

Das Problem greift aber tiefer. Der Satz, den nicht nur Laschet und andere Unionspolitiker, sondern auch AfD-Politiker gern unermüdlich wiederholen, bricht nicht nur die unvergessenen und in der Entstehung hochkomplexen Vorgänge von 2015 auf diesen einen Slogan herunter. Unterschwellig stellt er überdies das tatsächlich Geschehene - die Zuwanderung von Menschen in Not und Todesangst - als rein negatives Ereignis dar. Denn etwas, das sich nicht wiederholen darf, ist eine Gefahr, die es abzuwehren gilt. Wie sehr die von den Rechten betriebene Diskursverschiebung schon fortgeschritten ist, zeigt auch die Wissenschaft. Soziologen aus Bielefeld haben soeben festgestellt, dass die integrationsfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft zugenommen haben. Man habe eine "Kultur der Abwehr" ausgemacht - und zunehmende Abwertung von Geflüchteten.

Nun also Laschet, der angesichts der Bilder vom Kabuler Flughafen zu einer Aussage greift, die vermutlich von Angst getrieben ist: Bloß den Rechten kein Wahlkampfthema bieten! Aber was genau soll sich eigentlich nicht wiederholen? Der humanitäre Kraftakt der Bundesregierung, die Grenzen offen zu halten und Menschen zu helfen, die aus Todesangst ihre Heimat verlassen hatten? Die mehrheitlich positive Reaktion und die spürbare Solidarität in der Gesellschaft? Oder die politische Desorganisation, der schlecht vorbereitete Verwaltungsapparat, die chaotischen Zustände bei der Aufnahme der Flüchtenden?

Kaum jemand denkt an den Geist der Solidarität, wenn er oder sie diesen Satz hört. Verstanden wird etwas anderes. Wer sagt, dass 2015 sich nicht wiederholen darf, der sagt: Diese Humanität können wir uns nur einmal leisten. Und der sagt auch das Gegenteil von Merkels denkwürdigem Satz. Der sagt: Wir schaffen das nicht.

Bezogen auf das miserable Bild, das die Bundesregierung in der Afghanistan-Krise abgibt, wäre dieser Satz sogar richtig.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Newsletter abonnieren
:Deutscher Alltag-Newsletter

Erhalten Sie einmal wöchentlich Einblick in deutsche Alltagsmomente - beobachtet und beschrieben von Kurt Kister. Kostenlos anmelden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: