Süddeutsche Zeitung

Kuba:Ein echter Aufbruch tut not

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62 Jahre haben Fidel und Raúl Castro in Kuba geherrscht. Trotz mancher Errungenschaften hinterlassen sie ein krankes System.

Kommentar von Benedikt Peters

Vielleicht hat sich mancher Kubaner am Montag in den Arm kneifen müssen: Sie sind nun tatsächlich weg. 62 Jahre lang haben die Castros über die Karibikinsel geherrscht; als sie 1959 an die Macht kamen, regierte in Deutschland noch ein gewisser Konrad Adenauer. An diesem Montag nun gab der 89-jährige Raúl Castro sein letztes einflussreiches Amt, das des Chefs der übermächtigen Kommunistischen Partei, aus Altersgründen ab. Sein Bruder, der máximo líder Fidel, war 2016 verstorben.

In sozialen Fragen haben die beiden Brüder zu Beginn Historisches geleistet

In ihren frühen Jahren haben die beiden linken Brüder Historisches geleistet: Sie haben die Insel von einem egomanischen Despoten befreit. Sie haben dafür gesorgt, dass die Menschen mehr Essen auf dem Teller hatten, dass sie lesen und schreiben lernten, dass sie kostenlos zur Schule und zum Arzt gehen konnten. Noch heute hat Kuba ein für lateinamerikanische Verhältnisse sehr gutes Bildungs- und Gesundheitssystem; ein selbstentwickelter Corona-Impfstoff steht offenbar kurz vor der Einführung.

Trotz alledem ist das Leben für die meisten Kubaner alles andere als angenehm. Das hat damit zu tun, dass sich die Castros mit der Zeit selbst in Despoten verwandelt haben. Andersdenkende werden systematisch verfolgt und weggesperrt, sie landen in den Gefängnissen oder im Hausarrest. Ein Wettstreit der Ideen kann unter diesen Bedingungen nicht stattfinden. Das ist das Grundübel eines Gesellschaftssystems, das viele Menschen auf der Insel sehr unzufrieden macht: Es bietet zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Stundenlang müssen die Kubaner an Geschäften anstehen, um Lebensmittel zu ergattern, die sie so gerade über den Monat bringen. Erst kürzlich hat eine Währungsreform den Mangel verschärft, die Preise haben sich vervielfacht, und inzwischen trifft die Not sogar das Gesundheitssystem. Die hervorragend ausgebildeten Mediziner haben oft nicht einmal genug Schmerzmittel und Verbandszeug, um ihre Patienten zu versorgen.

Nötig wären nun eine Öffnung, Wirtschaftsreformen und Demokratie

Rául Castro und seine sozialistischen Nachfolger weisen die Schuld für all das weit von sich. Sie führen an, dass der für Kuba eminent wichtige Tourismus wegen Corona eingebrochen ist, dass die Unterstützung durch Venezuela fehlt - und vor allem, dass die USA unter Donald Trump die Sanktionen wieder empfindlich verschärft haben. Alles richtig, aber das verschärft nur die kubanische Dauerkrise, die schon seit Anfang der Neunzigerjahre besteht. Kuba hat den Zusammenbruch der Sowjetunion - und damit der sozialistischen Wirtschaftshilfe - niemals verwunden.

Die einzige Chance für ein gutes Leben auf Kuba läge in einer echten Öffnung: Es müsste wirtschaftliche Reformen geben, die über zögerliche Versuche hinausgehen, und vor allem faire, demokratische Wahlen. Auf ihrem achten Parteikongress haben die Kommunisten aber gerade noch einmal klargemacht, dass sie dazu unter keinen Umständen bereit sind. Die Kubaner müssten den Wandel erkämpfen, die bisherigen Proteste sind dafür aber viel zu schwach. Das liegt nicht nur an der staatlichen Repression, sondern auch an der unrühmlichen Rolle der USA. Mit ihrer Sanktionspolitik verschafften sie den Castros und nun ihren Nachfolgern eine viel zu einfache Ausrede dafür, warum so viele Dinge in Kuba nicht funktionieren. US-Präsident Joe Biden hat der Nachbarinsel in seinen ersten Monaten im Amt bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das sollte er ändern und die Sanktionen lockern.

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