Krisenmanagement:Nur verwalten reicht nicht

Die deutschen Behörden arbeiten weiter, als gäbe es keine Pandemie. Es wurde zwar Geld bereitgestellt, aber nicht für die Umsetzung der Maßnahmen gesorgt.

Von Cerstin Gammelin

Es kommt in letzter Zeit häufiger vor, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Superlativ nutzt wie jüngst bei ihrer Warnung vor der Pandemie als "Jahrhundertkatastrophe" im Sinne einer Naturkatastrophe. Dagegen kann man nichts haben, es ist ja die Pflicht der Regierungschefin, Bürger für Gefahr zu sensibilisieren. Was allerdings in starkem Kontrast zu dem Superlativ beim Warnen steht, ist die Wirksamkeit des Krisenmanagements, das sich in der Verwaltung zeigen sollte. Im elften Monat der Pandemie sind wichtige Aufgaben aus den Anfangstagen nicht gelöst. Es hapert von der App über das Gesundheitsamt bis zum Home-Office.

Eines der großen Versäumnisse ist, dass die Politik trotz der Ausnahmesituation das seit Jahren bekannte Spiel mit den Milliarden einfach weiter gespielt hat: Man lege viel Geld in Schaufenster - und wundere sich hernach, dass es, erstens, nicht abfließt und, zweitens, nichts besser wird. Wie unter einer Lupe zeigt die Corona-Pandemie die Gefährlichkeit dieses Politikstils auf. Wenn Milliarden bereit gestellt werden, aber nicht die Wege bereitet, auf denen das Geld zum Projekt wird, kann es den Zweck nicht erfüllen. Die Politik hat den Fehler gemacht, ihre Priorität nicht auf die zeitnahe und konsequente administrative Umsetzung der Maßnahmen zu legen, die sie beschließt.

Dass es anders geht, zeigen Konzerne, Banken und Organisationen, die binnen einer Woche im Home-Office verschwunden sind. Öffentliche Verwaltungen aber schaffen das mehrheitlich nicht in einem Jahr. Im Gesundheitsamt regiert das Fax, das Corona-Telefon etwa im Land Brandenburg ist geschaltet werktags von 9 bis 17 Uhr. Am Wochenende macht Corona offenbar Pause. Angestellte arbeiten offiziell im Home-Office, können aber nicht viel tun, weil sie oft nur einen USB-Stick mitbekommen haben, aber keinen PC. Der Januar 2021 macht hier kaum einen Unterschied zum März 2020.

Es wird verwaltet, als gäbe es keine Pandemie. Im Digitalfonds liegen rund sechs Milliarden Euro. Hätte nicht ein Run auf das Geld einsetzen müssen, als 2020 pandemiebedingt das Digitale den Alltag zu dominieren begann? Theoretisch sicherlich, tatsächlich flossen ganze 580 Millionen Euro ab. Die reale Welt sieht immer noch so aus, dass man hier das Geld der Vorschriften wegen liegen lässt und anderswo darauf wartet.

Der EU-Wiederaufbaufonds soll Länder und Kommunen bei der digitalen Ausstattung mit drei Milliarden Euro helfen. Wann? Weiß man nicht. Das Geld aus dem Digitalfonds auslegen? Darf man nicht. In Estland hat seit Jahren jedes Taxi Internet. In Deutschland gleicht die Idee, Gesundheitsämter voll digitalisiert und verlinkt mit der Corona-Warn-App arbeiten zu lassen, einem kühnen Traum. Politik verweist auf Datenschutz, statt Bürgern die App nahezubringen, etwa über ein Anreizsystem, das Nutzern kostenfrei medizinische Masken garantiert.

Auch beim Personal wird verwaltet wie gehabt. Bei einem Wirtschaftseinbruch von mehr fünf Prozent und geschlossener Dienstleistungsbranche ist es logisch, dass weniger Arbeit in Behörden anfällt. Offenbar ist es aber für Behördenchefs und Landesfürsten bequemer, Mitarbeiter ohne PC ins Home-Office zu schicken als dorthin, wo Personal fehlt: in die Gesundheitsämter oder in Altenheime, um bei Tests zu helfen. Ja, die Sorge vor der Mutante ist groß, aber es reicht nicht zu warnen. Wenn sich die Welt in einem Ausnahmezustand befindet, muss Politik diesen bis ins Bürgeramt in ihrem Handeln spiegeln - und zwar konsequent.

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