Süddeutsche Zeitung

Konzertierte Aktion:Scholz muss die Jammernden zusammenbringen

Arbeitgeber und Gewerkschaften wollen beide ihre Positionen durchdrücken und pochen auf die Tarifautonomie. Dabei sollten sie endlich Verantwortung übernehmen und aufeinander zugehen.

Kommentar von Roland Preuß, Berlin

Olaf Scholz hat einen Fehlstart vor dem Start hingelegt. Die Idee, in Tarifverträgen auf steuerfreie Einmalzahlungen zu setzen und dafür niedrigere Lohnsteigerungen zu akzeptieren, wurde ihm zugeschrieben und hat sofort die Reflexe der Tarifpartner geweckt. Wir lassen uns gar nichts sagen, Tarifverhandlungen sind unser Revier, schallt es von Arbeitgebern wie Gewerkschaftern gleichermaßen. Das macht den Auftakt nicht einfacher für die konzertierte Aktion, zu der sich der Kanzler an diesem Montag mit Vertretern von Unternehmen, Arbeitnehmern, Bundesbank und Wissenschaft zusammensetzt. Leider.

Denn es reicht nicht, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften jetzt auf die Tarifautonomie pochen. Das Grundrecht, Fragen des Lohns unter den Tarifpartnern zu klären, ist verknüpft mit einer Verantwortung, die weit über das Wohlergehen der eigenen Gewerkschaftsmitglieder oder Verbandsunternehmen hinausgeht. Die Tarifpartner tragen Verantwortung für die ganze Gesellschaft. Sie sollten sich ohne vorschnell gezogene Grenzen auf diesen Dialog einlassen, auch wenn er ihr geschütztes Biotop der Lohnpolitik berührt.

Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, gemeinsam zu beraten

Die Zeitenwende, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst hat, umfasst nicht nur 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Sie betrifft nicht nur die Handelspolitik oder die Energiewende, die nun Tempo aufnehmen muss. Sie verlangt auch neue Ansätze, wie Regierung und Tarifpartner auf diese Bedrohung des Wohlstandes antworten sollen. Wie sie einen Ausgleich finden können zwischen den Zielen, Bürger und Unternehmen gezielt zu entlasten und gleichzeitig die Inflation einzudämmen. Wenn man das Land bei diesen heftigen Preissteigerungen zusammenhalten will, dann muss man auch die Tarifpartner zusammenführen. Eines der Ziele muss sein, lange Streiks zu vermeiden. Sie würden die Krise weiter befeuern. Natürlich heißt das nicht, jetzt die Tarifautonomie aufzugeben. Aber es heißt, sich in dieser Notsituation zu besprechen. Es verstößt nicht gegen das Grundgesetz, gemeinsam zu beraten.

In den anstehenden Tarifrunden entscheiden Arbeitgeber und Gewerkschaften darüber mit, wer für die Krisen dieser Zeit bezahlt. Die Beschäftigten zur Lohnzurückhaltung aufzurufen, während in der Branche hohe Gewinne eingefahren werden, das kann nicht sein. Das hieße, vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für teures Öl und Gas, für Lieferengpässe und Corona-Verluste büßen zu lassen. Es kann aber auch nicht sein, dass Gewerkschaften auf hohen Lohnsteigerungen beharren, wenn Unternehmen ums Überleben kämpfen - oder wenn sich die Wirtschaftslage dramatisch verschlechtert. Jammern gehört zur Jobbeschreibung von Unternehmensvertretern - doch manche Not ist durchaus echt.

Das heißt, die kommenden Tarifverträge müssen mehr noch als bisher an die Branche und die Lage vor Ort angepasst werden. Selbst die IG Metall sprach vor wenigen Tagen nach einer Diskussion mit Betriebsräten von einer großen Bandbreite, die sich da auftut: Von Unternehmen, die Milliardengewinne abwerfen, bis hin zu Betrieben in einer eher schwierigen Lage, welche die Preissteigerungen nicht an ihre Kunden weitergeben können, oder denen Chips oder anderes Material fehlen. Hohe Tarifabschlüsse können sogar geboten sein bei Unternehmen, die in der Krise gut verdient haben wie Digital-, Energie- oder Autokonzerne. Wenn die FDP hier eine Übergewinnsteuer so hartnäckig verhindert, können zumindest Tarifabschlüsse die Beschäftigten an den Gewinnen beteiligen. An dieser Stelle können die Arbeitgeber ihren Beitrag leisten und den Mitarbeitern durch ein großzügiges Plus die gestiegenen Preise ausgleichen.

Nun gilt es, besonders flexibel zu sein

Verantwortung in der Krise heißt aber auch, besonders flexibel zu bleiben. Niemand weiß, wie es weitergeht mit dem Gasfluss aus Russland, mit Chinas Corona-Maßnahmen, mit Energiepreisen und Materialmangel. Tarifverträge können einen Beitrag dazu leisten, mögliche Schocks wie einen russischen Lieferstopp abzufedern und Unternehmen zu retten. In der Vergangenheit haben sich die Gewerkschaften immer wieder kompromissbereit gezeigt, wenn Unternehmen durch äußere Einflüsse in Not geraten sind, aller kämpferischen Rhetorik zum Trotz, die auch jetzt wieder zu hören ist - und die IG Metall auf eine Lohnforderung von acht Prozent zusteuern lässt.

Olaf Scholz kann mit seiner konzertierten Aktion all dies nicht verordnen, er kann die Tarifpolitik nur begleiten. Er kann Arbeitgebern und Gewerkschaften Brücken bauen zu einer Einigung. Etwa durch steuerfrei gestellte Einmalzahlungen, die helfen können, Preissteigerungen zu bremsen. Oder durch eine staatliche Unterstützung verstärkt für diejenigen, die nicht in den Genuss von hohen Tarifabschlüssen kommen. Den gemeinsamen Weg über diese Brücken müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften dann aber schon selbst nehmen.

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