Süddeutsche Zeitung

Korea:Kim Jong-Un führt immer wieder denselben Tanz auf

Warum ausgerechnet jetzt all die Raketentests? Weil der Diktator aus Pjöngjang eine Krise erzeugen will, die er mit zwei anderen Krisen verknüpfen will. Aber Erfolg haben wird er damit nicht.

Gastkommentar von Yu Woo-ik

Yu Woo-ik war von 2009 bis 2011 Botschafter Südkoreas in China und 2011 bis 2013 Minister für Fragen der Wiedervereinigung. Er lehrt als Honorarprofessor an der Seoul National University.

Nordkorea unternimmt derzeit ungewöhnlich viele Raketentests. Das Regime hat Langstreckenraketen und U-Boot-gestützte Raketen abgefeuert, es war so dreist, sie auch über japanisches Territorium und in die Nähe von südkoreanischem Territorium zu schicken. Diese militärische Provokation war ungewöhnlich: sowohl was die Art der Raketen, die Menge, die Frequenz und die Aggressivität betrifft. Das geschah, nachdem Kim Jong-Un, der nordkoreanische Führer, ein Gesetz verkündet hatte, das einen nuklearen Präventivschlag gegen Südkorea ermöglicht. Womöglich steht auch der nächste, der siebte Atombombentest bevor. Die Tests dienen dazu, die Raketen technisch zu verbessern und sind damit eine Voraussetzung für Atombombentests.

Der Grund seiner Schießerei soll "eine unerlässliche Reaktion" auf gemeinsame Manöver von Südkorea und den USA sein. Aber das ist natürlich eine Ausrede. Denn Nordkoreas Aktionen sind prinzipiell aggressiv, während die USA und Südkorea rein defensiv handeln. Nordkorea will eine Nuklearkrise auf der koreanischen Halbinsel schaffen und diese mit den Konflikten zwischen den USA und China sowie dem Ukraine-Krieg verbinden, um schließlich zu einem Abrüstungsgespräch zu gelangen. Das ist das versteckte, aber eigentliche strategische Ziel von Kim. Zudem könnte seine Schießerei einen Propagandazweck im Inland erfüllen: Indem er das Land vor seinem eigenem Volk als Nuklearmacht inszeniert, glaubt er wohl, dieses von Protesten abschrecken oder aber trösten zu können; schließlich leidet es seit Jahren unter seiner Politik der Entbehrungen. Vielleicht wollte er auch die neue Regierung im Süden erschüttern. Er möchte gern die Appeasement-Politik von Präsident Moon Jae-In wiederhaben, der aber seit Mai nicht mehr im Amt ist. Wie auch immer, jedenfalls halte ich die Aussage des amerikanischen Verteidigungschefs Lloyd Austin für angemessen: "Jeder nukleare Angriff auf die Vereinigten Staaten oder ihre Partner wird zum Ende des Kim-Regimes führen."

Es geht ihm nicht um die Sicherheit von Nordkorea

Aber die Nuklearpolitik ist ein Fluch, und dies macht den nordkoreanischen Führer ungeduldig: Entwicklung und Instandhaltung der nuklearen Waffen sind teuer, doch sie bringen keinen Gewinn. Die wahnsinnige Schießerei der letzten Wochen soll dem Wert des nordkoreanischen Jahreskonsums an Reis entsprochen haben.

Drei Generationen von nordkoreanischen Führern haben sich bemüht, nukleare Waffen zu entwickeln. Seit Jahrzehnten glauben sie, dass Atombomben das einzige Mittel sind, die Sicherheit ihres Landes, oder besser gesagt: ihre Macht, zu garantieren. Was sie dafür im Gegenzug erhalten haben: nichts außer maximalem Druck, Armut und Hunger. Nun ist der junge Diktator in ein Dilemma geraten. Er kann die nuklearen Waffen weder benutzen noch aufgeben. Die Situation wird immer schlimmer werden, und demnach wird die Unzufriedenheit des Volkes immer größer werden. Es sieht so aus, als ob die Angst vor dem Nuklearfluch und die Fehleinschätzung der Weltlage ihn zu der wahnsinnigen Schießerei, zu einer Strategie am Rande des Abgrunds geführt haben.

Anders als die internationalen Medien behandelt die südkoreanische Presse die ganze Sache nur nachrangig. Besonders bemerkenswert ist, dass der politische Zirkel weitgehend uninteressiert reagiert. Die Angelegenheit wird nicht einmal so intensiv diskutiert wie der Skandal, dass Ex-Präsident Moon aufgehört haben soll, zwei Hunde zu füttern, die ihm von Kim geschenkt worden waren. Die meisten Bürger bleiben auch deshalb ruhig, weil sie durch Erfahrung abgestumpft sind - und gelernt haben, in Sicherheitskrisen besonnen zu bleiben. Ein satirischer Spruch bei uns lautet: "Bei uns machen sich nicht die Politiker Sorgen um die Bürger, sondern umgekehrt!"

Gefährliches Draufgängertum wird häufig als verrückter Schwerttanz bezeichnet; in diesem Fall müsste man wohl Nukleartanz sagen. Erst wird die Krise durch den verrückten Schwerttanz bis zum Maximum eskaliert, dann wird Nordkorea uns ein anderes Gesicht zeigen und zum Friedensgespräch einladen. Es ist ja kein Zufall, dass derzeit drei diktatorisch regierte Länder, kommunistisch oder im Kommunismus wurzelnd, gleichzeitig glauben, die bisherige Ordnung zum eigenen Vorteil zu ändern. Aber schon allein durch den Umstand von Abrüstungsgesprächen würde Nordkorea sich als Nuklearmacht behaupten. Man sollte sich von seinen Schwert- und Nukleartänzen nicht beeindrucken lassen. Statt dessen sollten Südkorea, die USA und die Welt maximalen Druck auf das Regime ausüben. Nur Sanktionen, Abschreckung und der daraus resultierende Nuklearfluch werden Kims wahnsinnigen Nukleartanz stoppen und ihn zwingen, sich zu wandeln.

"Gott schreibt gerade"

Mein guter, mittlerweile verstorbener Freund Frank Gibney, der langjährige Ostasien-Reporter, sagte mir 1993, bei der ersten nordkoreanischen Nuklearkrise, drei Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung: "Gott schreibt gerade, auch wenn die Linien krumm werden."

Der nordkoreanische Nukleartanz wird dem Tänzer keinen Nutzen bringen. Im Gegenteil, er wird zu weiteren Sanktionen und zu Isolation führen. In Südkorea wird er die Debatte um die Stationierung von nuklearen Kurzstreckenraketen beleben. Das Bündnis zwischen den USA und Südkorea wird um Japan erweitert und verstärkt. Sein Kalkül wird nicht aufgehen. So wie in der Dunkelheit der Mitternacht das Licht anfängt zu brennen, so wie der Samen in der tiefsten Winterkälte anfängt, aufzugehen, so werden sich auch neue Möglichkeiten für die Wiedervereinigung Koreas ergeben.

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