Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingskrise in Idlib:Auf Januar vertagt

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Die Hilfslieferungen nach Nordwestsyrien rollen wieder. Doch der Kompromiss im UN-Sicherheitsrat ist nur eine Scheinlösung: Im Winter wird der Kreml die kommende humanitäre Krise in der Region zur Durchsetzung eigener Forderungen nutzen.

Von Mirco Keilberth

Seit Dienstag passieren wieder Lastwagen den türkisch-syrischen Grenzübergang Bab al-Hawa. Ein Kompromiss im UN-Sicherheitsrat stellt vorerst die Versorgung der mehr als vier Millionen Menschen in Idlib sicher. Ein Veto Moskaus hatte zuvor die Erneuerung des UN-Mandates verhindert. Medikamente und Zelte aus der Türkei würden direkt an die Extremisten gehen, so der russische UN-Botschafter Dmitri Poljanski. Moskau will die humanitäre Krise nutzen, um Hilfslieferungen künftig aus Damaskus zu schicken, und will die Kontrolle der Grenzen des Rebellengebietes den Truppen seines Verbündeten Baschar al-Assad überlassen.

Das auf nur sechs Monate verlängerte Mandat vertagt nun die Krise auf einen Moment, in dem Moskau und Damaskus ihre Forderungen leichter als jetzt umsetzen können: 70 Prozent der in Nordwest-Syrien lebenden Geflüchteten haben schon jetzt nicht genug zu essen. Im Januar werden wieder Flüchtlinge in ihren Zelten verhungern. In Nordafrika sind dann soziale Proteste gegen die horrenden Lebensmittelpreise zu erwarten. In der Ukraine werden Millionen Flüchtlinge zu versorgen sein. Europa dürfte mit einer saftigen Energiekrise beschäftigt sein.

Karl-Otto Zentel, Generalsekretär der Hilfsorganisation Care, nennt diese Politisierung der humanitären Hilfe Psychoterror gegen die Flüchtlinge. Denn wegen des diplomatischen Geschachers können Hilfsorganisationen auch im zwölften Jahr des Krieges keine Einkommen schaffenden Projekte starten, um die Abhängigkeit der Menschen von Hilfslieferungen zu verringern.

In den nächsten Monaten müssen Brüssel und Berlin eine dauerhafte Lösung finden, mithilfe der Türkei - selbst wenn diese selber mit ihrer geplanten Offensive gegen die Kurden die Lage verschlimmern dürfte. Oder es ist an der Zeit zu erkennen, dass internationale Diplomatie der politischen Instrumentalisierung von Flüchtlingsleid nichts entgegenzusetzen hat.

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