Süddeutsche Zeitung

Kolonialismus:Eingeständnis eines Verbrechens

Deutschland erkennt den Völkermord an den Herero und Nama vor über 100 Jahren an und bittet um Entschuldigung. Das ist überfällig. Viel zu lange hat das Land die eigene Kolonialgeschichte ignoriert.

Kommentar von Bernd Dörries

Nachdem sie die Herero erschossen oder in die Wüste getrieben hatten, wo sie elend verdursteten, blieb manchem deutschen Soldaten etwas Zeit für Poesie. "Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit", notierte ein Offizier in sein Tagebuch. Zehntausende Herero starben in der Wüste, manche Leichen fand man später in metertiefen Löchern, die Menschen hatten nach Wasser gesucht und sich zu Tode gegraben. Der Generalstab in Berlin notierte nach der Schlacht am Waterberg 1904 zufrieden: "Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes."

Es war der erste Völkermord der Neuzeit, und diese neue Zeit ist nun auch schon mehr als hundert Jahre her. So lange hat es gebraucht, bis Deutschland sich für das Morden entschuldigt und versucht, auch Wiedergutmachung zu leisten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll sich vor dem Parlament in Namibia entschuldigen, in den nächsten Jahrzehnten will Deutschland 1,1 Milliarden Euro für soziale Projekte ausgeben.

Letztlich müsste sich Deutschland auch dafür entschuldigen, dass es sich nun so spät entschuldigen wird. Dass es so lange brauchte, hat vielleicht auch damit zu tun, dass hinter dem monströsen Verbrechen des Holocausts andere verblassten. Manche waren auch lange der Ansicht, dass die deutschen Kolonialisten in Afrika vielleicht Fehler gemacht haben und manche Grausamkeit begingen, aber im Vergleich zu Franzosen, Briten und vor allem Belgiern eigentlich noch ganz gut dastehen. Dass man den Unzivilisierten etwas Zivilisation mitgebracht habe: Züge, Schiffe und Kegelbahnen.

Wer weiß schon, dass Preußen aus dem heutigen Ghana Sklaven verschiffte

Dieses Bild eines vermeintlich wohlwollenden Kolonialreiches ist auch deshalb entstanden, weil man sich nicht sehr intensiv mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt hat. Wer weiß schon, dass Preußen im heutigen Ghana ein Fort bauen ließ und von dort Sklaven verschiffte. Die Aufarbeitung der Kolonialzeit hat sich die Bundesregierung in den Koalitionsvertrag geschrieben. Das Fort Großfriedrichsburg verfällt derweil.

Den Genozid in Namibia hat man viele Jahrzehnte als ein juristisches Problem behandelt, nicht als ein auch menschlich-moralisches. Es sollte bloß kein Präzedenzfall geschaffen werden für das Leid anderer Völker. Gleichzeitig zeigte die Politik aber mit dem Finger auf andere, verurteilte den Völkermord der Türken an den Armeniern.

Nun wurde den Herero und den Nama in Namibia ein Angebot zur Versöhnung gemacht. Ob sie gelingt, lässt sich noch nicht sagen. Deutschland ist aus Sicht seiner Verhandlungsführer bis an die Schmerzgrenze gegangen und auch darüber hinaus. Manche Vertreter der Herero werden das Angebot annehmen, anderen ist es zu wenig. Manche haben gesagt, dass sie mehr Geld wollen und sich nur mit direkten Kompensationen zufriedengeben werden. Andere kritisieren, dass Deutschland nicht direkt mit den Herero verhandelt habe, sondern mit der Regierung. Die deutsche Seite sagt, man habe mit allen Vertretern gesprochen und könne der namibischen Seite nicht vorschreiben, wer in ihrer Verhandlungsdelegation zu sitzen habe.

Letztlich haben die vielen Jahrzehnte ohne Entschuldigung zu Verletzungen geführt, die nicht mit einer Unterschrift vergessen sind. Es ist nur der Beginn einer Aussöhnung, nicht ihr Ende.

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