Süddeutsche Zeitung

Klimakonferenz:Im Schraubstock von Glasgow

Die Industrie- und Schwellenländer würden es gerne bei vagen Versprechen belassen, wie die Klimakrise bewältigt werden kann. Gut, dass sie es beim Klimagipfel nun mit den Leidtragenden zu tun bekommen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Wenn nur die Täter übereinander richten, kommt nie was Gescheites heraus. Entsprechend harmlos ist das Resozialisierungsprogramm, dass sich die 20 großen Industrie- und Schwellenländer bei ihrem Gipfeltreffen in Rom in Sachen Klima auferlegt haben. Aus der fossilen Energie wollen sie irgendwann zur Mitte des Jahrhunderts raus, und die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius finden sie auch ganz prima. Aber was sie dazu machen wollen, im Hier und Jetzt - dazu schweigen jene Staaten, die der Welt ihr größtes Problem eingebrockt haben und es täglich verschärfen.

Ach ja, sie wollen keine Kohlekraftwerke im Ausland mehr finanzieren - was freilich bei genauem Hinsehen nur bedeuten kann, dass einige von ihnen das im Inland sehr wohl noch vorhaben. All das, was sie in Rom beschlossen haben, passt vorne und hinten nicht. Gut nur, dass diese 20 ab sofort nicht mehr unter sich sind. Beim Klimagipfel in Glasgow treffen sie auf die übrigen 172 Staaten.

Darunter sind einige, denen das Wasser schon bis zu den Knöcheln steht. Andere haben wahlweise Dürren, Überflutungen oder Wirbelstürme hinter sich. Wieder andere fragen sich, wie sie eine wirtschaftliche Entwicklung überhaupt hinbekommen sollen, wenn klassische Zweige wie die Landwirtschaft in ihrer Existenz bedroht sind oder Hitzewellen das Leben und Arbeiten erschweren. Und das, wohlgemerkt, in einer Welt, die sich gegenüber vorindustriellen Zeiten erst um 1,1 Grad Celsius erwärmt hat und Kurs nimmt auf 2,7 Grad. Wenn Leidtragende und Verursacher miteinander sprechen, sieht die Sache gleich ganz anders aus.

172 Staaten wollen mehr als vage Versprechen

Das ist die Chance dieser Klimakonferenz und zugleich ihre größte Belastung. Die Chance, weil sich die übrigen 172 eben nicht mit dem halbgaren, vagen Zeugs werden abgeben wollen, das ihnen der G-20-Klub präsentiert hat. Sie werden nicht hinnehmen, dass ein reiches Land wie Australien die Frechheit besitzt, zwar bis 2050 die Klimaneutralität zu geloben - aber nicht im Traum daran denkt, die Förderung von Kohle einzuschränken. Im Kreis der G-20-Staaten finden sich solche Beispiele reihenweise, auch beim selbsternannten Vorreiter Deutschland, dem Land des Verbrennungsmotors.

Doch es geht eben den Industrie- und Schwellenländern auch um ihre weitere Entwicklung, um Jobs, Wählerstimmen, die Finanzierung von Sozialsystemen durch stetiges Wachstum. Daraus erwächst die Beharrungskraft, die entschiedenen, raschen Klimaschutz verhindert, weil sich all die neuen, klimafreundlichen Technologien erst gegen etablierte Industrien durchsetzen müssen.

Selbst im Jahr 2021, in dem die Botschaften der Wissenschaft dringlicher sind denn je; in dem viele dieser klimafreundlichen Technologien zur Serienreife entwickelt und oft wettbewerbsfähig sind; in dem sich mit der EU und den USA zwei der mächtigsten Wirtschaftsblöcke aufmachen, ihre Volkswirtschaften umzukrempeln - selbst in diesem Jahr gerät der Klimagipfel unweigerlich in diesen Schraubstock aus Ökologie und Ökonomie. Was so ein Gipfel beschließt, ist nie genug, das liegt in der Natur von Kompromissen. In diesem Jahr aber sind die Erwartungen besonders hoch.

Schöne Klimaprosa ohne Folgen

Ob Glasgow dennoch zu einem Schritt nach vorn wird, hängt deshalb nicht von den vielen technischen Fragen ab, mit denen sich die Staaten beschäftigen. Die müssen sie lösen, damit das Klimaabkommen von Paris funktioniert. Noch wichtiger ist aber, dass der Täterklub nicht länger mit hübschen Langfristzielen davonkommt, mit schöner Klimaprosa, der nichts folgt.

Keine Frage: Wenn sich auch die G 20 vornehmen, irgendwann zur Mitte des Jahrhunderts bei netto null Emissionen zu landen, ist das ein Fortschritt. So ein Ziel kann Orientierung geben. Aber es bleibt eine Hülse, wenn sich daraus keine Zwischenziele ableiten, über die die Staaten ebenso Rechenschaft ablegen müssen. Wer seiner Wirtschaft bis 2050 den bisherigen Treibstoff entziehen will, der muss auch einen Plan für 2030 und 2040 haben. Sonst ist das ferne Ziel bloß Schwindel. Diesen Pflock muss die Konferenz in Glasgow einrammen, soll das Abkommen von Paris tatsächlich umgesetzt werden.

Die EU-Staaten werden dabei eine zentrale Rolle spielen. Die Europäer arbeiten gerade an einem Klimapaket, das eben diese nähere Zukunft ausbuchstabiert. Es enthält alles, um Europas Wirtschaft ohne große Kollateralschäden umzubauen: steigende Preise für das klimaschädliche Kohlendioxid und einen Ausgleich für Regionen, die der Ausstieg aus der Kohle besonders trifft. Ein Enddatum für den Verbrennungsmotor und damit eine klare Ansage an die Industrie. Und Pläne für einen Außenhandel, der einen Unterbietungswettlauf auf Kosten des Klimas verhindert, indem er auch importierten Produkten ihren CO2-Fußabdruck anlastet.

Europa muss auf Kurs bleiben

Wenn sich Europa durch hohe Energiepreise nicht von seinem Weg abbringen lässt, kann es eine Menge dazu beitragen, die Welt auf einen klimafreundlichen Kurs zu bringen. Die Europäer können beweisen, dass wirtschaftliche Entwicklung und Klimaschutz kein Widerspruch sind. Das freilich verlangt weiter den Druck der Besorgten und Fortschrittlichen. Sie dürfen sich nicht frustriert verkriechen, wenn auch dieser Klimagipfel weit hinter dem zurückbleibt, was alle Vernunft nahelegt. Denn ohne diesen Druck bewegen sich auch die nicht, die es gut meinen.

Kein Gipfel allein kann die Klimakrise beenden. Aber ohne diese Treffen gelingt es ganz sicher auch nicht. Globale Verantwortung und Versprechen, die das Papier wert sind, auf dem sie stehen - das lässt sich nur dort organisieren, wo Verursacher und Leidtragende an einem Tisch sitzen. Das alles geht viel zu langsam, gewiss. Aber die Welt hat keine bessere Hoffnung als diese.

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