Meinung551 Fragen an die Regierung:Die Union wirkt beleidigt, statt eine Charmeoffensive zu versuchen

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Kommentar von Henrike Roßbach

Lesezeit: 2 Min.

Da fragen wir doch mal nach, scheint man sich bei der Union zu sagen: Demonstration auf der Münchner Theresienwiese gegen die gemeinsame Abstimmung von CDU/CSU mit der AfD im Bundestag.
Da fragen wir doch mal nach, scheint man sich bei der Union zu sagen: Demonstration auf der Münchner Theresienwiese gegen die gemeinsame Abstimmung von CDU/CSU mit der AfD im Bundestag. (Foto: Lorenz Mehrlich)

Gleich 551 Fragen zur staatlichen Finanzierung kritischer Gruppen? Ernsthaft? Natürlich hat das Merz-Lager das Recht dazu – aber Zeitpunkt und Attitüde könnten nicht ungeschickter sein.

Ein Empörungsbeben erschüttert das politische Berlin, ausgelöst durch 551 Fragen der Unionsfraktion an die aktuelle Bundesregierung. Der stattliche Fragenkatalog kreist um die staatliche Förderung gemeinnütziger Organisationen – und die Frage, in welchem Ausmaß sich diese Organisationen dann trotzdem parteipolitisch äußern und betätigen dürfen.

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:Kleine Anfrage

Ein Instrument für Parlamentarier zur Kontrolle der Regierung. Kann auch groß und lang sein; wie jetzt bei CDU und CSU.

Von Detlef Esslinger

Dass die Union sich so brennend für diesen Themenkomplex interessiert, liegt maßgeblich an den Demonstrationen, zu denen diverse gesellschaftliche Gruppen nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU/CSU und AfD im Bundestag aufgerufen hatten – bis hin zu Protesten vor der Parteizentrale in Berlin. Die Union witterte offenbar regierungsfinanzierte Anti-CDU-Demos mitten im Wahlkampf und dachte sich: Da fragen wir doch besser mal nach!

Tatsächlich ist das ihr gutes Recht. Die Kleine Anfrage ist der oppositionelle Stachel im Fleisch der Regierung, und es ist legitim, dass die Unionsfraktion dieses Instrument in ihrem Sinne nutzt. Es ist im Übrigen auch keineswegs abwegig, genau wissen zu wollen, welchen Organisationen der Staat Geld gibt und wie diese es verwenden. Das Spannungsfeld zwischen Gemeinnützigkeit und staatlicher Förderung auf der einen und einer möglicherweise parteipolitischen Betätigung auf der anderen Seite ist keine überspannte Erfindung der Union. Dass es sich um eine relevante Frage handelt, zeigt allein schon die Aberkennung der Gemeinnützigkeit im Fall des Netzwerks Attac vor mehr als zehn Jahren.

Ein „Einschüchterungsversuch“ ist eine Kleine Anfrage wohl kaum

Der Union wegen ihrer Kleinen Anfrage einen Angriff auf die Zivilgesellschaft vorzuwerfen, ist daher überzogen. Das müsste auch der Grünen-Vize Sven Giegold wissen, der CDU und CSU sogar einen „Einschüchterungsversuch“ à la Viktor Orbán attestierte. Diese Wortmeldung sagt mehr über Giegold aus als über die Union. Zum Beispiel, dass ihm seine mehrere Jahre zurückliegende Vergangenheit als Gründungsmitglied von Attac näher zu sein scheint als seine gerade einmal rund drei Monate zurückliegende Vergangenheit als Staatssekretär und damit politischer Beamter im Bundeswirtschaftsministerium.

Und trotzdem möchte man der Union mit Blick auf den grotesken Umfang dieser Anfrage und die Terminierung rund um einen Wahltermin sehr dringend die Frage stellen: Ernsthaft?

Die Union macht sich vollkommen ohne Not angreifbar

Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD hat Hunderttausende Menschen im Land aufgebracht und an der Haltung der Union zu den rechten Demokratiefeinden zweifeln lassen. Doch anstatt die Zerstreuung dieser berechtigten Sorge weit nach oben auf die eigene Agenda zu setzen, setzen CDU und CSU sich lieber dem Verdacht aus, ihren Kritikern das Leben schwer machen zu wollen. Vollkommen ohne Not macht die künftige Kanzlerpartei sich angreifbar auf einem gerade für sie sensiblen Gebiet – und das auch noch just zum Zeitpunkt einer wahrscheinlichen Machtübernahme im Bund.

Nicht zu erkennen, was für eine Sprengkraft diese Mischung hat, ist ein politisches Versagen der ganz eigenen Art. Zudem wirkt die ganze Aktion vom Gestus her kleinlich, beleidigt und unsouverän. Warum Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzender diesen Stunt zugelassen hat, bleibt sein Geheimnis. Auch mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen ist die große Kleine Anfrage maximal ungeschickt. Die Union müsste jetzt eigentlich zu einer großen Charmeoffensive in Richtung der Sozialdemokraten ansetzen. Stattdessen arbeitet sie intensiv daran, selbst diejenigen Vorurteile ihrer Kritiker zu bestätigen, die gar nicht stimmen.

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