Aktuelles Lexikon:Kirre

Eine Eigenschaft, die manche haben mögen, aber nie man selbst (auch Olaf Scholz nicht).

Von Kia Vahland

Wer als Norddeutscher etwas auf sich hält, der lässt sich nicht kirre machen. Oder sagt das zumindest, wie nun Bundeskanzler Olaf Scholz. Im ZDF versprach er den "Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes", er werde sich "nicht kirre machen lassen" in Sachen Waffenlieferungen an die Ukraine. Was heißt, mögen andere nervös werden, überdrehen, die Tatsachen nicht mehr sehen - man selbst lasse sich von einer aufgedrehten Stimmung nicht anstecken, komme da, wer wolle. Die rein lautmalerische Verbindung zu "irre" erschließt den Sinngehalt sofort. Doch diese Bedeutung ist neuzeitlich. Das Wort geht auf das mittelhochdeutsche "Kürre" zurück. Über Jahrhunderte meinte es so ziemlich das Gegenteil von dem heutigen Gehalt, nämlich gefügig, zahm, ruhig. Martin Luther kennt "feine, zahme, kirre Tierlein". Geläufig ist das Wort in der Jägersprache; es bedeutet, ein Tier zu beruhigen und zu locken. Auf Menschen angewandt heißt das, jemanden zu beeinflussen, wenn nicht zu manipulieren und zu verunsichern. Von hier aus könnte sich der inzwischen verbreitetere Wortgebrauch entwickelt haben. Der ursprüngliche Kontext, die Zähmung, ging dabei verloren und findet sich heute fast nur noch in alten Texten. So beliebt der Ausdruck ist, so selten hört man ihn als Selbstbezeichnung: Kirre sind immer die anderen.

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