Süddeutsche Zeitung

Familien und Corona:Damit Träume wahr werden

Ärmere Eltern brauchen dringend Unterstützung vom Staat - gerade in der Pandemie. Sonst bleiben ihre Kinder ohne Perspektive.

Von Edeltraud Rattenhuber

Zwei Familien, zwei Welten. In jeder kommt der 13 Jahre alte Sohn nach monatelangem Corona-Lockdown in der Schule nicht mehr mit in Mathe. Die Eltern können ihm nicht helfen, und auch die Schule hat trotz aller Beteuerungen der Kultusministerkonferenz nicht genügend Personal, um sich gezielt um all die corona-geschädigten Schüler zu kümmern. Der Junge wechselt auf die Realschule. Der Traum vom Studium? Ist passé.

Für den anderen, ebenso schlechten Schüler wird Hilfe organisiert. In seiner Welt werden Träume wahr. Die Eltern, Akademiker, haben schon vor Weihnachten die private Nachhilfe-Maschinerie angeworfen. Sie arbeitet auf Hochtouren, über Skype und Zoom, damit der Junge ein paar Jahre später planmäßig Abitur machen und dann studieren kann. Zwei Kinder, zwei Welten, und das in Deutschland. Doch wen stört's?

Die "Familienweisen" zum Beispiel. Das sind jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am Mittwoch der Bundesregierung ihren Familienbericht vorgelegt haben, den neunten seit 1968. Sie sprechen klare Worte. Von "verhärteten sozialen Strukturen", die es Eltern in Deutschland erschwerten, ihren Kindern gute Startbedingungen und Entwicklungschancen zu bieten, ist die Rede. Von fehlender Chancengerechtigkeit. Und von einem sozialen Aufstieg, der Utopie bleibt. Das Gremium warnt davor, dass sich diese sozialen Spaltungen nach Corona weiter verschärfen könnten, wenn man nicht gegensteuere.

Familien werden oft vermessen - und dann vergessen

Seit Jahren werden Familien erforscht, Eltern und Kinder befragt, Armutsberichte geschrieben. In der Corona-Zeit wurden Studien veröffentlicht, die die Familien als die hauptsächlich Leidtragenden der Krise benannten. Woran die Familie - vor allem die mit geringen Einkommen - krankt und was ihr guttäte, weiß man daher hinlänglich. Aber Familien werden nicht nur vermessen - sie werden auch gerne vergessen, vor allem die, die es ohnehin schon schwierig haben.

In den vergangenen 15 Jahren haben die zehn Prozent der Haushalte, die ohnehin schon das höchste Einkommen erzielen, überdurchschnittlich hohe Steigerungen erzielt. Die ärmsten zehn Prozent der Haushalte hingegen fielen sogar weiter zurück. Der Tatsache, dass die einen immer mehr zur Verfügung haben, die anderen nur noch zu überleben versuchen, muss endlich etwas entgegengesetzt werden.

Geld hilft, darauf haben Wohlfahrtsverbände auch in der Krise hingewiesen. Sie fordern mehr Hilfen für die Armutsgefährdeten, nicht nur punktuell, sondern langfristig. Und was macht, ganz aktuell, die Politik? Sie schüttet in der Corona-Krise 450 Euro Kinderbonus für jeden Sprössling aus, um die Konjunktur zu stabilisieren, und koppelt die Ausschüttung der Einfachheit halber ans Kindergeld. Die bessergestellte Familie kann das Geld sparen; auch wenn sie es versteuert, bleibt ihr noch etwas übrig, das sie gar nicht nötig gehabt hätte. Irgendeine Bedürftigkeit musste sie nicht belegen.

Die benachteiligte Familie dagegen kauft den Kindern von dem Bonus Essen, das diese, gäbe es die Pandemie nicht, mittags gratis in der Schule bekommen hätten. Und sie wird noch einmal gnädigerweise darauf hingewiesen, dass der Bonus nicht mit Hartz IV verrechnet wird. Dankeschön! Will die Familie ansonsten Geld vom Staat bekommen, muss sie jeden Cent genauestens belegen.

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