Süddeutsche Zeitung

Kölner Missbrauchsbericht:Das alte System hat gesiegt

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Ein Gutachten über das Fehlverhalten von Bischöfen und Generalvikaren gegenüber Opfern sexueller Gewalt im Erzbistum Köln soll unter Verschluss bleiben. Das ist ein fatales Signal.

Kommentar von Matthias Drobinski

Selbst wenn im Text des Kölner Missbrauchsberichts nicht jeder Satz gelungen sein sollte - der Versuch, die Erkenntnisse zum systematischen Versagen der Leitung des katholischen Erzbistums im Umgang mit Fällen von sexueller Gewalt unter Verschluss zu halten, ist falsch. Die Art und Weise, wie dies gerade geschieht, macht ihn zur Katastrophe. Ein mutiges Projekt, das der Selbstaufklärung und der schmerzhaften Selbsterkenntnis hätte dienen sollen, endet in einer endkampfartigen Auseinandersetzung konkurrierender Anwaltskanzleien, im Kleinkrieg ums Äußerungsrecht.

Im Februar noch hatte Kardinal Rainer Maria Woelki stolz verkündet, er habe mit der Untersuchung im Zweifel seine eigene Anklageschrift in Auftrag gegeben. Aus dem furchtlosen Aufklärer im Bischofsamt ist innerhalb eines halben Jahres der verzagte Hirte geworden, der - statt um die Wahrheit zu ringen - die verstorbenen Kardinäle Joseph Höffner und Joachim Meisner schützt, ihre noch lebenden Generalvikare und Personalchefs, von denen einer heute Erzbischof von Hamburg ist, Stefan Heße. Es hat das alte System gesiegt. Institution und Amtsträger müssen unantastbar bleiben. Was im Umgang mit den Missbrauchsbetroffenen rechtlich und kirchenrechtlich nicht zur Strafe führt, muss schon irgendwie in Ordnung gewesen sein.

Wieder sind die Betroffenen die Opfer

Genau da aber sollte das Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl und Spilker ansetzen: Was hat im Umgang mit den tief verletzten Betroffenen dem Selbstverständnis der katholischen Kirche widersprochen und dem Geist Jesu, für den zu stehen die Kirche für sich in Anspruch nimmt? Über die Antworten auf diese Fragen hätte sich auch nach der Veröffentlichung des nun zurückgehaltenen Berichts hart streiten lassen. Und selbstverständlich hätten die Kritisierten das Recht bekommen müssen, ihre Sichtweise darzustellen und zu sagen: Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ein Gutachten ist schließlich kein Evangelium und kein Ex-cathedra-Spruch des Papstes. Aber offenbar war die Frage nach dem kirchlichen Geist und Selbstverständnis so gefährlich, dass zumindest Erzbischof Heße mit dem weltlichen Gericht drohte, sollte sie öffentlich gestellt werden.

Wieder einmal sind die Betroffenen der sexuellen Gewalt die Opfer. Den Betroffenenbeirat des Erzbistums über den Tisch zu ziehen und ihn ein Gutachten kritisieren zu lassen, das er selber nicht kennt, war eine infame Aktion. Man sollte die Mitglieder das weggesperrte Gutachten lesen lassen - und sehen, welche Meinung sich diese dann bilden.

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