Süddeutsche Zeitung

Katholische Kirche:Der Klerus schafft sich ab

Die katholische Kirche ist vielen Gläubigen fremd geworden, das hat diese Woche mit dem Missbrauchsgutachten und dem Segnungsverbot für Homosexuelle besonders drastisch gezeigt.

Kommentar von Annette Zoch

Der Kölner Dom, das Gebäude, steht - aber wie ist es mit dem Erzbistum, diesem Konstrukt? Es wird im größten deutschen Bistum wohl kein Stein auf dem anderen bleiben. Zwei Weihbischöfe sind schon weg, außerdem der Chef des Kirchengerichts. Auch der Hamburger Erzbischof (und ehemalige Kölner Generalvikar Stefan Heße) hat sein Amt verloren. Weitere werden folgen, vielleicht am Ende sogar Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki selbst; auch wenn der von ihm beauftragte Gutachter keinen Hinweis auf ein Fehlverhalten Woelkis festgestellt haben mag - des Mannes, der Geheimsekretär (so nennt man das in der katholischen Kirche) unter Kardinal Joachim Meisner war, dem laut Gutachten sündhaftesten von allen untersuchten Klerikern.

Die Geschwindigkeit, mit der es nun hohe Geistliche hinwegfegt, ist für katholische Verhältnisse atemberaubend. Man kann das Gutachten durchaus kritisieren für seine rein juristische Perspektive. Doch die Wirkung ist schon jetzt unbestreitbar. Hinter den 18. März kommt die Kirche insgesamt nicht mehr zurück. In vielen deutschen Bistümern wird man die Nachrichten aus Köln mit wachsendem Unbehagen verfolgen. Irgendwann wird der Nebel sich ganz verziehen, und dann stehen sie da, die Brüder.

Und dann war da noch am Montag dieses Papier aus Rom

Diese Woche hat beispielhaft gezeigt, wie sehr die katholische Kirche sich von ihren Gläubigen entfremdet hat. Vielleicht sogar so sehr, dass der Bruch nicht mehr zu heilen ist. Da war erstens das mit Spannung erwartete Gutachten im Kirchenkrisenzentrum Köln. Und zweitens das knappe Papier "Responsum ad dubium", Antwort auf einen Zweifel, das am Montag von der Glaubenskongregation in Rom veröffentlicht wurde, mit deutlichem Fingerzeig nach Deutschland.

Die obersten Glaubenshüter verfügten darin: Katholische Priester dürfen homosexuelle Verbindungen nicht segnen. Punkt. Der Vatikan maßt sich also an, Segen zu reglementieren. Gottes Segen. Den Segen für in Liebe und Verantwortung gelebte langfristige Beziehungen zweier Menschen.

Woran bemisst sich denn eine gute Beziehung im christlichen Sinne? Doch daran, dass zwei Menschen einander versprechen, auch in schlechten Tagen füreinander da zu sein, füreinander einzustehen, einander zu respektieren und anzunehmen, so wie sie sind? Gute Beziehungen sind doch keine Frage des Geschlechts. "Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm", heißt es im ersten Brief des Johannes. Segen für Liebesbeziehungen müsste doch das Mindeste sein, wozu eine Kirche in der Lage ist.

Verbieten, verbieten, verbieten - so was kann der Klerus

Aber nein, die katholische Kirche maßt sich seit 2000 Jahren an, den Menschen bis ins Kleinste vorzuschreiben, wie sie ihr Leben und vor allem ihr Sexualleben zu führen haben. Sex vor der Ehe ist verboten, Verhütung ist verboten, Scheidung ist verboten, Homosexualität ist verboten.

Diese beiden Debatten, die um sexualisierte Gewalt und die um die kirchliche Akzeptanz von Homosexualität, haben etwas gemeinsam: Im Kern geht es um Macht und um Kontrolle. Die katholische Kirche tut sich unglaublich schwer damit, dem einzelnen Menschen seine Autonomie zuzugestehen.

Dass Kleriker zu Missbrauchstätern wurden und werden, liegt vielleicht sogar in der inneren Logik der Kirche begründet. Um das zu verstehen, hilft ein Blick ins Kirchenrecht: Kirchenrechtlich wird sexueller Missbrauch bis heute rein vom Priester her gedacht. Kirchenrechtlich gesehen verstößt ein Priester, der sich an einem Kind, Jugendlichen oder Erwachsenen vergeht, gegen das sechste Gebot: "Du sollst nicht ehebrechen." Und weil der zölibatär lebende Priester mit der katholischen Kirche verheiratet ist, betrügt er lediglich die Kirche. Die Opfer kommen als Geschädigte nicht vor, sie sind gar nicht da.

Betroffene kommen im Kirchenrecht nicht einmal am Rande vor. Sondern gar nicht

Aus diesem Grund haben Betroffene von sexuellem Missbrauch in kirchenrechtlichen Verfahren gegen Täter bis heute keinerlei Rechte. Sie können keine Akten einsehen, sie können nicht als Nebenkläger auftreten, sie sind nur Zeugen. Die katholische Kirche könnte etwas dagegen tun, sagt zum Beispiel die Theologin Doris Reisinger: Sie könnte ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in ihren Rechtsnormen verankern; im weltlichen Bereich ist dies etwas völlig Selbstverständliches. Doch wenn sie das täte, müsste sie den Gläubigen auch zugestehen, über ihr Schlafzimmer selbst zu entscheiden. Hier liegt der Knackpunkt: katholische Kirche und Selbstbestimmung des Menschen - das geht offenbar nicht zusammen.

Diese römische Scheinheiligkeit, den Gläubigen einerseits bis unter die Bettdecke Vorschriften zu machen und andererseits kollektiv wegzuschauen bei dem, was der eigene Klerus so Furchtbares unter so vielen Bettdecken angerichtet hat - die funktioniert im Jahr 2021 nicht mehr.

Lange haben auch Laien weggeschaut. Jetzt nicht mehr

Jedes Jahr im Sommer werden die neuen Kirchenaustrittszahlen veröffentlicht. Wird man darin demnächst den Köln-Effekt ablesen können? Denn allein in Köln läuft das Kirchenvolk in Scharen davon, und die, die es noch aushalten in ihren Gemeinden, entfernen sich immer weiter von der Amtskirche. Auch beim Thema Missbrauch verändert sich die Wahrnehmung in der Gesellschaft. Endlich gestehen sich auch Laien zunehmend ein, was unter dem Dach ihrer Kirche jahrzehntelang Kindern und Jugendlichen angetan wurde. Lange haben auch Laien weggeschaut, doch das ist wohl auch vorbei.

Gegen das Papier aus Rom zur Segnung homosexueller Paare stehen Menschen in ganz Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern nun massenhaft auf - auch viele katholische Priester, Generalvikare und Bischöfe. Das sind also keine Revoluzzer, sondern Katholikinnen und Katholiken, die ein eigenes Gespür haben für die Wahrheit des Evangeliums. Sie haben verstanden: Eine Kirche, der niemand mehr glaubt, die ist irgendwann weg.

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