Genau 359 338 Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten - das ist in etwa die Einwohnerzahl Wuppertals, welches übrigens zum Erzbistum Köln gehört, daher passt die Stadt als Referenzgröße doppelt gut. Das Erzbistum Köln ist Statistik-Spitzenreiter der deutschen Diözesen mit 41 000 Ausgetretenen, in Kirchenkreisen spricht man vom Woelki-Effekt.
Von ihm, dem nach Skandal und Auszeit unverdrossen zurückgekehrten Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki, hat der Papst noch ein Rücktrittsgesuch im Schreibtisch liegen, auf Wiedervorlage. Er wolle erst entscheiden, wenn der öffentliche Druck nachgelassen habe, hatte Franziskus jüngst in einem Interview gesagt. Wann das sein wird, ist unklar - und wie viele Katholikinnen und Katholiken es in Köln bis dahin noch gibt, auch.

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Papst Franziskus hat über den deutschen Synodalen Weg gespottet
In demselben Interview hatte Franziskus außerdem über den deutschen Synodalen Weg, ja man kann sagen, gespottet, in dem sich engagierte katholische Laien gemeinsam mit Klerikern sehr ernsthaft darum mühen, der Kirche ein evangeliumsgemäßeres Antlitz zu verleihen. Es gebe schon eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland, man brauche nicht zwei davon, hatte Franziskus gesagt. Hochachtung vor all jenen, die trotz dieser päpstlichen Geringschätzung immer noch um Reformen ringen. Aber wie lange bleiben sie noch bei der Stange?
Denn, und das ist das Alarmsignal der jüngsten Austrittsstatistik: Auch engagierte Katholikinnen und Katholiken kehren der Kirche den Rücken. Zwar sind Christen in Deutschland immer noch die mit Abstand größte Religionsgemeinschaft, aber inzwischen stellen die Mitglieder der beiden großen Kirchen nicht mal mehr die Hälfte der Bevölkerung.
Der Exodus der Gläubigen wird das Land, aber auch die Kirche selbst verändern. Denn mit den zahlreichen Austritten geht den Reformwilligen irgendwann die Unterstützer-Basis verloren. Und wer bleibt dann noch? Vermutlich all jene wenigen "Rechtgläubigen", die die katholische Kirche in ihrer alten absolutistisch-feudalen Gestalt eigentlich ganz gut finden und die die antimodernistische Abgrenzung zur pluralen Gesellschaft üben wollen.
Die Selbstradikalisierung birgt Gefahren - wie man am Beispiel USA sieht
Wie so eine Selbstradikalisierung laufen kann, zeigt ein Blick in die USA. Dort betreiben einige reaktionäre katholische Bischöfe in einer unheilvollen Allianz mit fundamentalistischen Evangelikalen die gesellschaftliche Spaltung und verkünden - in einer Pervertierung des christlichen Glaubens - nicht die frohe Botschaft, sondern Hass.
Deutschland ist davon zum Glück noch weit entfernt. Für die Ausgetretenen sind die zahlreichen Skandale wohl nur der letzte Tropfen. Viele Menschen haben sich vor allem deshalb von der katholischen Amtskirche abgewandt, weil diese ihnen - statt wirklich bei ihnen zu sein, sie zu begleiten und ihnen zuzuhören - in den vergangenen Jahrhunderten lieber kleinteilig Vorschriften gemacht, sie belehrt und gegängelt hat. Bei aller berechtigten Kritik und allen Skandalen - bislang galt die katholische Kirche in Deutschland auch immer noch als integrative gesellschaftliche Kraft. Damit sie das bleiben kann, damit sie diese Rolle vielleicht endlich auch glaubwürdig ausfüllen kann, muss sie lernen, dem Freiheitsbewusstsein ihrer Mitglieder Rechnung zu tragen.