Süddeutsche Zeitung

Nahost:Wandler zwischen verfeindeten Welten

Emir Tamim bin Hamad al-Thani ist derzeit wieder ein sehr gefragter Gesprächspartner. Denn Katars Herrscher kann in der Ukraine-Krise liefern, was in Europa womöglich knapp werden könnte.

Von Thore Schröder

Scheich Tamim bin Hamad al-Thani hat gerade Wochen der Genugtuung erlebt, und sie gehen weiter. Vor wenigen Tagen sprach der Herrscher Katars bereits mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, am Montag wurde der Emir nun im Weißen Haus empfangen. Während des etwa 75 Minuten dauernden Gesprächs bat US-Präsident Joe Biden um Hilfe bei der Energieversorgung Europas in der Ukraine-Krise. Katar könnte als weltweit größter Lieferant von Flüssigerdgas (LNG) im Fall von Versorgungsengpässen einspringen.

Doch das ist nicht der einzige Grund, warum das kleine Emirat - 2,8 Millionen Einwohner, von denen nur zehn Prozent die katarische Staatsbürgerschaft besitzen - wieder zu einem wichtigen Gesprächspartner geworden ist. Der Emir traf als erster Golf-Herrscher überhaupt Biden. Donald Trump hatte noch auf enge Bande zu Katars Nachbarn gesetzt, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Saudi-Arabien. Grund für Tamims neue Beliebtheit ist seine geschickte Positionierung als enger Verbündeter des Westens, gleichzeitig besitzt Katar auch zu dessen Feinden Kontakte und springt immer wieder als ehrlicher Makler ein, so wie bei den Evakuierungen aus Afghanistan und nun in Verhandlungen mit Iran.

Hamad bin-Kalifa al Thani hatte seinen vierten Sohn Tamim bereits 2003 zum Thronfolger berufen. Über die beiden älteren Brüder soll der "Vater-Emir" geklagt haben, der eine spiele, der andere bete zu viel. Wahrscheinlich wegen einer Nierenkrankheit trieb der Senior die frühzeitige Machtübergabe voran. Tamim hatte in Großbritannien die elitäre Sherborne School in Dorset und danach die Militärakademie von Sandhurst besucht. Bei seiner Thronbesteigung war er 33 Jahre alt - und musste sich sogleich schwerer Angriffe erwehren. 2014 beriefen die VAE, Saudi-Arabien und Bahrain ihre Botschafter aus Doha ab, um gegen Katars Unterstützung der Muslimbrüder und von Oppositionsbewegungen zu protestieren, unter anderem durch den TV-Sender Al Jazeera. Der Disput konnte zunächst beigelegt werden, brach aber 2017 wieder auf, als die Golfmächte gemeinsam mit Ägypten Katar mit einer Blockade belegten. "Tamim zahlte den Preis dafür, dass sich sein Vater während des Arabischen Frühlings weit aus dem Fenster gelehnt hatte", sagt Andreas Krieg vom King's College in London.

"Er war erfolgreich, weil er sich nicht einschüchtern ließ"

Dabei hatte der Sohn die Unterstützung umstürzlerischer Kräfte bereits heruntergefahren. Zunächst war unklar, ob Tamim politisch überleben würde, letztlich ging er aber sogar gestärkt aus der Krise hervor. Bald war überall auf der Halbinsel das Konterfei des Schnurrbartträgers zu sehen, unterschrieben mit dem Titel: "Tamim al-Madschd" - "Tamim der Ruhmreiche". Als Biden ins Weiße Haus einzog, mussten die Gegner des Emirs einlenken. "Tamim war erfolgreich, weil er sich nicht einschüchtern ließ und die Blockade schnell umgehen konnte", sagt Sebastian Sons vom Nahost-Forschungsinstitut Carpo, "seitdem wird er von seinen Untertanen als eine Art Schutzpatron gesehen."

Katar bleibt eine Autokratie ohne Gewaltenteilung, in der Frauen kaum Rechte besitzen und Homosexuelle wie Oppositionelle verfolgt werden. Dazu kommt die menschenunwürdige Behandlung von Gastarbeitern: 6500 zumeist aus Südasien stammende Bauarbeiter sollen bei der Konstruktion der WM-Stadien und großer Infrastrukturprojekte ums Leben gekommen sein. Doch an der Person Tamims blieb davon bisher wenig hängen. Der Emir tritt auf internationaler Bühne geschmeidig und maßvoll auf, spricht fließend Englisch und Französisch, gilt als nicht ideologisch. Der Ehemann von drei Frauen und Vater von zwölf Kindern soll sich für Badminton und Falknerei begeistern. Eine wichtige Rolle bei der Positionierung seines Landes spielt die Sportdiplomatie. Der Herrscher trieb die Übernahme des Fußballklubs Paris Saint-Germain voran und wird als Gastgeber der Fifa-WM Ende des Jahres mehr denn je im Zentrum stehen.

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