Kasachstan:Selbst einem wie ihm schlägt einmal die Stunde

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Nursultan Nasarbajew trat 2019 als Präsident zurück, natürlich nicht, ohne sich vorher Einfluss, Reichtum und Straffreiheit zu sichern. (Foto: Shamil Zhumatov/Reuters)

Nursultan Nasarbajew hat schon zu Sowjetzeiten regiert und seither nie mehr von der Macht gelassen. Bis jetzt, da ihn die Kasachen mit aller Macht vom Hof jagen wollen.

Von Silke Bigalke

Mit 81 Jahren muss Nursultan Nasarbajew ein letztes kleines Kunststück vollbringen. Er muss sich selbst verschwinden lassen am Ende seiner beispiellosen Karriere. Einfach wird das nicht: Der Mann ist allgegenwärtig in Kasachstan. Straße, Plätze und mindestens ein Flughafen sind nach ihm benannt. Die Hauptstadt, die er selbst zur Metropole ausgebaut hat, heißt wie er: Nur-Sultan. Dort wurde bereits vor Jahren ein Nasarbajew-Museum eingerichtet, als gehöre der Langzeitherrscher schon nicht mehr zu den Normalsterblichen. Nasarbajew ist von den Kasachen stets entweder in den Himmel gelobt - oder aus lauter Angst gar nicht besprochen worden.

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Nun aber haben viele Menschen ihren früheren Präsidenten offenbar derart satt, seine Machtversessenheit und die Gier seiner Familie, dass sich die Proteste im Land hauptsächlich gegen ihn richten. Der alte Autokrat soll verschwinden, rufen sie durch die Straßen, bisher war so etwas undenkbar. Von Nasarbajew selbst ist nichts zu sehen und nichts zu hören. Es gibt Gerüchte, er sei krank. Es wird spekuliert, er sei schon ausgereist, womöglich zur Behandlung ins Ausland. Nach Angaben seines Sprechers befindet er sich aber derzeit weiter im Land. Noch ist unklar, wie es mit ihm weitergeht. Sicher ist, dass Nasarbajew seine bisherige Stellung im Land verloren hat. Auch den entscheidenden Posten als Chef des Sicherheitsrats hat Präsident Kassym-Schomart Tokajew ihm abgenommen.

Sein Verdienst: Er bewahrte Kasachstans Unabhängigkeit

Schon als Nasarbajew 2019 offiziell als Präsident zurücktrat, galt das als Ende einer Ära. Er war damals der letzte noch amtierende Staatschef, der schon zu Sowjetzeiten regiert hatte. Seine lange Karriere begann Nasarbajew als Stahlarbeiter, kokettierte später mit dem Image vom bescheidenen Mann aus dem Volk. In den Sechzigerjahren war er der Kommunistischen Partei beigetreten, hatte es kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion bis ins Politbüro geschafft. Seiner Generation schrieb er einst einen "stählernen Charakter", einen "unbrechbaren Willen" zu, mit dem auch "schwierigste Aufgaben" zu meistern seien.

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In Kasachstan regt sich Protest gegen die etablierte Herrscherclique. Präsident Tokajew setzt nun auf das, was er von Machthaber Lukaschenko in Belarus gelernt hat: Er erklärt die Demonstranten zu Terroristen und hofft auf die Hilfe eines mächtigen Nachbarn.

Kommentar von Silke Bigalke

Sein Verdienst ist es, dass er Kasachstans Unabhängigkeit in den folgenden Jahrzehnten bewahrt hat. Das Land ist das ressourcenreichste in Zentralasien. Wirtschaftliche Interessen anderer Staaten haben Nasarbajew dabei geholfen, eine schwierige Balance zu halten zwischen den großen Nachbarländern China und Russland. Innenpolitisch ließ er keine Konkurrenz zu. Fünfmal ist Nasarbajew gewählt geworden, nie waren die Wahlen dabei fair und frei. Als 2011 größere Proteste aufflammten, beendete Nasarbajew sie gewaltsam, nahm Todesopfer in Kauf. Weil er dennoch weniger grausam regierte als etwa Islam Karimow im benachbarten Usbekistan, bekam er vergleichsweise wenig Kritik aus dem Westen.

Westliche Politiker sahen gerne über die Repression im Land hinweg

Für die Zeit nach seiner Präsidentschaft hat er früh vorgesorgt: 2010 schuf er für sich den Titel "Führer der Nation", ließ sich vom Parlament lebenslang Schutz vor Strafverfolgung für sich und seine Familie verleihen, auch eine Garantie für deren riesiges Vermögen. Dazu erhielt er lebenslanges Vetorecht in allen wichtigen politischen Fragen. Sein Rücktritt 2019 konnte also nie als echter Machttransfer gelten. Trotzdem überraschte der Autokrat, der freiwillig verzichtete, nicht nur die Kasachen.

Nasarbajew war an Lob gewöhnt, auch aus dem Ausland. Westliche Politiker übersehen Repressionen, wenn sie sich davon wirtschaftliche oder geopolitische Vorteile erhoffen. Der damalige US-Vizepräsident Dick Cheney gab sich bei einem Besuch 2006 sehr angetan von Nasarbajew, der frühere britische Premier Tony Blair beriet den Autokraten sogar einst nach einer innenpolitischen Krise. Barack Obama klopfte ihm während einer Atomkonferenz auf die Schulter. Der kasachische Machthaber hatte auch dadurch früh Pluspunkte im Westen eingesammelt, dass er freiwillig auf nukleare Waffen verzichtete.

Nun dürften dem Mann, der sich nie Kritik anhören musste, die Protestrufe in den Ohren klingen. Nasarbajew, dessen größte Sorge als Vater dreier Töchter stets seine Nachfolge war, muss nun um sein Vermächtnis fürchten.

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