Internationale Strafverfolgung:Die Mühsal der Weltjustiz

Internationale Strafverfolgung: Bis zu drei Millionen Menschen starben unter dem Terrorregime der Roten Khmer Ende der 1970er-Jahre in Kambodscha. Im Genozid-Museum Tuol Sleng in Phnom Penh sind Fotos der Opfer zu sehen.

Bis zu drei Millionen Menschen starben unter dem Terrorregime der Roten Khmer Ende der 1970er-Jahre in Kambodscha. Im Genozid-Museum Tuol Sleng in Phnom Penh sind Fotos der Opfer zu sehen.

(Foto: TANG CHHIN SOTHY/AFP)

Schreckensherrschaft, Folter, Genozid - aber nur drei Urteile. Die Bilanz des Kambodscha-Tribunals zeigt, dass der Kampf gegen die Straflosigkeit noch lange nicht gewonnen ist.

Kommentar von Arne Perras

Das Sondertribunal für Kambodscha, das die monströsen Verbrechen der Roten Khmer aufarbeiten sollte, packt ein. 43 Jahre nach Ende der Pol-Pot-Herrschaft hat das Gericht vergangene Woche sein letztes Urteil bestätigt. Ein passender Moment, um über die Mühsal der internationalen Strafjustiz in einer Welt nachzudenken, die auch weiterhin Kriegsverbrechen, bis hin zum Völkermord, erlebt. Die Konflikte in Syrien und Myanmar oder der Überfall Russlands auf die Ukraine liefern dafür traurige Belege.

Unter den Großverbrechern des 20. Jahrhunderts rangierten die Roten Khmer weit oben. Die maoistische Bewegung hatte von 1976 bis 1979 eine paranoide Terrorherrschaft errichtet, die bis zu drei Millionen Menschen das Leben kostete. Wer allerdings die Bilanz des Tribunals betrachtet, muss erst mal schlucken: Drei Urteile gegen drei greise Angeklagte fällten die Richter - mehr nicht. Nach der Euphorie, mit der das Gericht einst geschaffen wurde, mutet das ernüchternd an.

Der kambodschanische Autokrat Hun Sen behinderte die Arbeit des Tribunals

Ist die internationale Justiz noch zu retten? In Kambodscha hat sie ihre hochgesteckten Ziele verfehlt. Ein Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit war dieses Tribunal jedenfalls nicht. Das hat im Kern keine juristischen, sondern politische Gründe: Solche Gerichte arbeiten ja nicht in einem Vakuum, sondern sind eingebettet in politische Verhältnisse, die ihnen manchmal stark zusetzen. Und der Druck in Phnom Penh war besonders groß. Über Kambodscha herrscht Hun Sen, ein skrupelloser Autokrat. Er war selbst bei den Roten Khmer, bevor er einst rechtzeitig die Seiten wechselte und später, unter dem Schirm der Schutzmacht Vietnam, an die Macht kam. Sein Regime war maßgeblich dafür verantwortlich, dass so wenige Anklagen erhoben wurden. Der Machthaber fürchtete Unruhe, sein Apparat bremste die Justiz aus.

Erfolgreicher waren die Tribunale zu Ruanda und Ex-Jugoslawien, auch weil sie außerhalb der betroffenen Länder angesiedelt waren. So konnten sie sich dem Störfeuer leichter entziehen. Diese Gerichte fällten weit mehr Urteile. Und die Verbrechen lagen zeitlich noch nicht so lange zurück wie in Kambodscha. Das Timing ist ein wichtiger Faktor, wenn solche Gerichte eine Chance haben sollen.

Es fehlt eine Weltpolizei, um die Kriegsverbrecher auch zu fassen

Mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) 2002 mit Sitz in Den Haag haben sich die Staaten eine permanente Institution geschaffen, um schwerste Verbrechen zu ahnden. Nur dass ihr eine Weltpolizei fehlt, um Kriegsverbrecher auch zu fassen. Hinzu kommt: Das jüngste Scheitern des Westens in Afghanistan lässt viele Länder doppelt nachdenken, ob sie sich an Interventionen in Krisenstaaten beteiligen wollen, in denen Kriegsverbrechen geschehen. Einerseits könnte das heilsame Debatten anstoßen, wie und wo militärische Eingriffe überhaupt nützen, um Frieden zu schaffen. Andererseits haben Gewaltherrscher derzeit wenig von außen zu befürchten. Schon gar keine Richter.

Schlechte Zeiten für die globale Strafjustiz. Und als wäre das nicht schon genug: Die Richter haben oft mit überzogenen Erwartungen zu kämpfen: Eine davon lautet, dass der IStGH abschreckend auf Diktatoren wirken könne. Das ist abwegig. Despoten sind fixiert auf ihre Macht, sie verteidigen sie mit allen Mitteln. Sie verfolgen und töten, wer ihnen gefährlich wird. Dass auf sie eine Zelle in Den Haag wartet, ändert daran wenig - solange eben niemand die Verbrecher stoppt und ausliefert.

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