Spanien:Der Architekt, der Gaudís Werk zu lesen weiß

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Architekt Jordi Faulí i Oller leitet die Bauarbeiten an der Basilika Sagrada Familia in Barcelona.

(Foto: Josep Lago/AFP)

Jordi Faulí hat sich ganz und gar einem Projekt verschrieben: Er will, dass die Basilika Sagrada Familia in Barcelona fertiggestellt wird. Wenn auch vielleicht nicht in seinem Leben.

Von Karin Janker

Wenn am Mittwochabend der neue Stern an der Spitze des Marienturms der Sagrada Familia über Barcelona entzündet wird, wird Jordi Faulí i Oller seinem Ziel ein wenig nähergekommen sein. Und gleichzeitig wissen, dass er es nicht erreichen kann. "Eine Kathedrale wird niemals fertig", sagte Faulí vor einem Jahr in einem Interview. Da ahnte er bereits, dass er seinen Zeitplan nicht einhalten kann.

Jordi Faulí ist Chefarchitekt an der wohl berühmtesten Baustelle der Welt. Er verantwortet die Arbeiten an Antoni Gaudís Meisterwerk, der Sagrada Familia. Man sagt über Gaudí, den Erfinder des katalanischen Modernisme, dass er demütig und hingebungsvoll gewesen sein soll. Allerdings wohl auch etwas größenwahnsinnig: Immerhin hatte er sich in den Kopf gesetzt, die höchste Kirche der Welt zu bauen. Beides könnte auch für den Mann gelten, der sein Werk nun fortsetzt.

Aus den fertigen Bauabschnitten leitete er die Konstruktionsprinzipien ab

Als Gaudí 1926 bei einem Straßenbahnunfall starb, hinterließ er seiner Stadt Sehenswürdigkeiten wie den Park Güell oder die Casa Milà - und ein Rätsel. Denn von der Sagrada Familia stand damals gerade einmal einer von 18 Türmen. Und weil Gaudí kaum Baupläne hinterließ und die meisten seiner Gipsmodelle während des Bürgerkriegs zerstört wurden, wusste man lange nicht, wie er sich den Rest der Basilika im Detail vorgestellt hatte.

Was einen zu Jordi Faulí bringt. Faulí hat sein Leben der Aufgabe verschrieben, Gaudís Gedanken zu lesen und aus den fertiggestellten Bauabschnitten dessen Konstruktionsprinzipien abzuleiten. "Alles hier ist Mathematik", sagt Faulí beim Spaziergang durch das Kirchenschiff, das einen auch im grauen Herbst hell und friedlich empfängt. "Wenn ich mal länger weg bin und wieder in die Kirche komme, stehe ich hier und staune", sagt der Architekt und blickt nach oben.

Faulí ist ein kleiner Mann, mit seinem schwarzen dreiteiligen Anzug und dem weißen Kragen hat er etwas Mönchisches. Beim Sprechen bleibt er stehen, seine gedämpfte Stimme geht im Gewirr fast unter. Zwischen den Touristen wirkt Faulí wie der einzige Mensch, der sich in einer Kirche angemessen zu verhalten weiß. Am wichtigsten für seine Arbeit sei Demut, sagt er. Sein Glaube helfe ihm dabei, sich ganz dem Werk eines anderen zu widmen. Seit bald zehn Jahren führt er nun Gaudís Projekt fort.

Inzwischen sind neun Türme vollendet, gerade einmal die Hälfte

Geboren wurde Faulí 1959 in Barcelona, mit 31 Jahren wurde er Assistent des damaligen Chefarchitekten Jordi Bonet i Armengol und stürzte sich in eine detaillierte Exegese. Er wollte Gaudí verstehen, in seine Gedankenwelt eintauchen, und studierte jene Schriften, die schon Gaudí gelesen hatte. Und dann tat er etwas, das seiner Meinung nach ganz im Sinne des Meisters war: Er nutzte die moderne Technik. Dem jungen Architekten gelang es so, ein virtuelles 3-D-Modell der Basilika zu erstellen. Aus diesem konnten die Architekten bis ins Detail ablesen, wie Gaudí sich die fertige Kirche vorgestellt haben musste.

2012 übernahm Faulí von seinem Lehrer Jordi Bonet die architektonische Leitung. Damals dachte er noch, er könnte derjenige sein, der Gaudís Werk zur Vollendung bringt, seine Deadline war 2026. Eine Spur von Größenwahn. Dann kam die Pandemie, und die Touristen, deren Eintrittsgeld den Weiterbau hauptsächlich finanziert, blieben aus. Die Baustelle kam praktisch zum Erliegen. Seit einigen Monaten läuft sie nun im Sparbetrieb.

Der Marienturm, der an diesem Mittwoch mit einem Gottesdienst eingeweiht wird, wurde gerade rechtzeitig fertig. Vor einer Woche setzte ein riesiger Kran den zwölfzackigen Stern aus Glas auf die Spitze. Da schwebt er nun auf seinem schmalen Sockel; Faulí hat den blauen Stein eigens aus Brasilien bringen lassen. Mit diesem sind nun neun Türme vollendet, die Hälfte. Die Idee, zu seinen Lebzeiten fertigzuwerden, hat Faulí aufgegeben. "Auf einen neuen Termin lege ich mich nicht mehr fest", sagt er. Es war einmal mehr eine Lektion in Demut.

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