Süddeutsche Zeitung

Jemen:Staat als Beute

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In Jemen braut sich ein Sturm zusammen. Schiitische Milizionäre, sunnitische Stämme, al-Qaida, Iran und Saudi-Arabien, sie alle mischen mit im ärmsten Land Arabiens. Der gefährliche Konflikt darf dem Westen nicht egal sein.

Ein Kommentar von Paul-Anton Krüger

Der Palast ist gefallen. Kämpfer der schiitischen Huthi-Miliz haben den Präsidentensitz in Sanaa besetzt. Dies ist der letzte symbolische Akt eines schleichenden Coups in Jemen. Er begann im September, als 30 000 Mann aus ihren angestammten Gebieten im Norden vorrückten und die Hauptstadt überrannten.

Heute unterzeichnet kein Minister aus dem Kabinett von Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi mehr einen Erlass, ohne dass ein Vertreter der Huthis seinen Segen dazu gibt. Und wenn doch - wie es Hadis Büro-Chef mit dem Entwurf einer neuen Verfassung versuchte - reagiert die Miliz mit Kidnapping, Granaten und Drohungen. Die international anerkannte Zentralregierung ist de facto nicht mehr handlungsfähig.

Die Regierung ist machtlos gegen die Dschihadisten

Der Vorstoß der Schiiten und die Passivität Hadis haben dazu geführt, dass sunnitische Stämme im Süden sich gezwungen sahen, ihre Verteidigung selbst in die Hand zu nehmen. Nicht jedes Gefecht zwischen den Sunniten und den Huthis findet unter Beteiligung von Al-Qaida-Kämpfern statt, aber die Stämme lassen die Extremisten oft genug auf ihrem Gebiet gewähren.

Die Regierung wiederum ist machtlos gegen die Dschihadisten, die Loyalität des Militärs ist zersplittert, und im Hintergrund zieht noch immer Ex-Präsident Ali Abdullah Saleh die Fäden. Die Drohnenangriffe der Amerikaner auf die Kader von al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel haben die Terrorgruppe nicht schwächen können. Im Gegenteil: Sie haben ihr vermutlich noch Zulauf verschafft.

Iran, Saudi-Arabien, al-Qaida - an der Misere wirken viele mit

Was sich in Jemen zusammenbraut, ist ein Sturm, auch wenn noch eine Chance besteht, dass er wieder abflaut. Im schlechtesten Fall bricht das Land in zwei Teile auseinander. Der eine, im Süden, würde dann wohl zu einem Rückzugsort für sunnitische Dschihadisten; der andere, im Norden, eine Reinkarnation des schiitischen Zaiditen-Imamats, das den Norden tausend Jahre lang bis zur Revolution im Jahr 1961 beherrscht hatte. Im Süden hoffen manche auf die Unterstützung der Golfstaaten unter Führung Saudi-Arabiens für eine Abspaltung. Der Norden würde in Iran einen willigen Unterstützer und eine Schutzmacht finden.

Die Golfstaaten sehen ohnehin die Huthi-Miliz als fünfte Kolonne Irans, von dort finanziert, bewaffnet und gesteuert. Belastbare Beweise gibt es nicht, aber oft ist ja die Wahrnehmung ausschlaggebend für die Politik. Klar ist, dass es enge Verbindungen zwischen der Huthi-Führung und Teheran gibt, und auch zur schiitischen Hisbollah-Miliz, einem engen Verbündeten der Iraner. Der Aufstieg der Huthis ist aber weniger mit größerem Eifer Irans zu erklären als mit einem Rückzug Saudi-Arabiens: Als dort die Muslimbruderschaft in Ungnade fiel, rückten die Saudis von ihrer Unterstützung für bestimmte sunnitisch-islamistische Parteien und Familien ab. Sie verloren damit Einfluss, haben heute keinen Partner mehr in Jemen. Zudem war ihre Politik schlecht koordiniert.

Der Westen muss auf die Vermittlung der UN setzen

Den Huthis ist es mit populistischen Forderungen gelungen, Zuspruch über ihre eigene Basis hinaus zu gewinnen. Die geopolitische und konfessionelle Aufladung dieses im Ursprung lokalen Konflikts macht eine Lösung nur komplizierter. Wenn die Saudis Jemen das Geld abdrehen, weil sie nicht wollen, dass es bei den Huthis landet, steht das ohnehin ärmste Land der arabischen Welt vor dem Kollaps. Schon jetzt leiden dort viele Menschen Hunger.

Dem Westen bleibt kaum etwas, als auf die Vermittlung der Vereinten Nationen zu setzen. Finanzhilfen, gekoppelt an klar definierte Fortschritte bei der Umsetzung des im September vereinbarten Plans für den politischen Übergang, wären für die USA und die EU eine Erwägung wert. Denn spätestens seit dem Attentat auf Charlie Hebdo ist klar: Ignorieren sollte der Westen diese vermeintlich ferne Krise nicht.

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SZ vom 22.01.2015
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