Polen:Er gibt nicht nach, er tut nur so

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Offiziell Vizeministerpräsident und Vorsitzender der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), tatsächlich der Herrscher: Jarosław Kaczyński, hier im Parlament. (Foto: Radek Pietruszka/picture alliance/dpa/PAP)

Jarosław Kaczyński, der große Bestimmer, kündigt an, der EU entgegenzukommen - und unternimmt das Gegenteil davon.

Kommentar von Florian Hassel

Eines hat die Auseinandersetzung zwischen der EU und Warschau in den vergangenen Wochen gezeigt: Wenn es ums Geld geht, gibt sich auch Polens nationalpopulistische Regierung so, als sei sie zum Nachgeben bereit - auch wenn sie sonst als hehre Wahrerin angeblich heiliger Interessen auftritt. Nur kurz, nachdem die EU-Kommission drohte, sie werde im Falle weiterer Missachtung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) durch Polen hohe tägliche Strafgelder beantragen, lenkt Warschau scheinbar ein: Die rechtswidrige Disziplinarkammer, die jeden polnischen Richter oder Staatsanwalt feuern kann, wird abgeschafft.

Allerdings spricht alles dafür, dass Polens faktischer Regierungschef Jarosław Kaczyński nur Zeit gewinnen will - so wie er es seit 2016 jedes Mal tat, wenn EU-Kommission oder EuGH den Abbau des Rechtsstaats in dem Land kritisierten. Frühestens im September sollen Gesetzentwürfe zur Abschaffung der Kammer vorgelegt werden. Vorerst darf sie erst einmal weiter urteilen. Später wird sie lediglich umgetauft und soll offenbar unter neuem Namen, doch wahrscheinlich mit denselben diskreditierten, politisch abhängigen Juristen weiter urteilen. Der Rechtsbruch wird in jeder Hinsicht fortgesetzt.

Als ob es nur um diese Disziplinarkammer ginge

Zudem geht es in der Auseinandersetzung mit Kaczyński keinesfalls nur um die Disziplinarkammer. Sondern es geht um Hunderte politisch kontrollierte Richter und Gerichte sowie um andere zentrale, europäischem Recht widersprechende, weil nicht unabhängige Justizorgane: Da ist der Landesjustizrat, der gefügige Richter auswählt. Da ist die rechtswidrig ins Amt gekommene Präsidentin des Obersten Gerichts. Da ist das Verfassungsgericht, das seit Jahren nur noch die Attrappe eines unabhängigen Gerichts ist. Nichts spricht bisher dafür, dass Polens Regierende nachgeben und den fortgeschrittenen Abbau des Rechtsstaats generell zurücknehmen wollen.

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Viel zu lange hat die EU-Kommission, haben Berlin und Paris gewartet, bis sie gegen die Regierungen in Polen und Ungarn vorgegangen sind. Ob nun endlich Greifbares passiert, muss sich erst herausstellen. Das effektivste Mittel wären nicht nur hohe tägliche Strafzahlungen gegen Polen, sondern ein generelles Einfrieren Dutzender Milliarden der EU: so lange, bis Kaczyński und seine Mitstreiter nicht nur die Disziplinarkammer, sondern ihr gesamtes Auswahl- und Disziplinarregime für Richter und Staatsanwälte abgeschafft haben. Dass Brüssel, Berlin und Paris dazu bereit sind, ist unwahrscheinlich - bisher sind die Institutionen dort sämtlich nicht als konsequente Verteidiger rechtsstaatlicher EU-Prinzipien aufgefallen.

Ungewiss ist auch, wie es in Polen weitergeht. Kaczyński und seine Alliierten wollen die Milliarden der EU auch nutzen, um vor der nächsten Wahl den Sieg mit Geschenken zu kaufen, wie schon 2015 und 2019. Das Regierungslager ist politisch angeschlagen. Doch ob dies der Anfang vom Ende für die Ära Kaczyński ist oder nur ein Zwischentief, weiß niemand. Ebenso wenig, ob bei der Opposition die Rückkehr des ehemaligen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in die polnische Politik dauerhafte Belebung bewirkt oder dies nur vorübergehend schafft. Sicher scheint nur eins zu sein: Solange das Kaczyński-Lager an der Macht ist, bleibt der Rechtsstaat in Polen suspendiert.

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