Jeder Mensch, der stirbt, hinterlässt eine Lücke. Und die Frage, wie schwer der Tod des früheren japanischen Premierministers Shinzō Abe wiegt, muss man im Grunde seiner Familie überlassen. Aber Abe war eben ein Mensch in besonderer Position, ein prägender Machtmensch. In seiner zweiten Amtszeit von 2012 und 2020 brachte Abe Japan neues Selbstbewusstsein, neue Handelschancen, weltweite Aufmerksamkeit. Seine rechtsnationale Haltung und die zahlreichen Skandale, die sein Wirken als Regierungschef begleiteten, haben dem Land nicht geholfen. Seine Qualität als Manager mit klarem Plan und beweglicher Diplomat hingegen schon. Sein Tod verändert Japans Politik nachhaltig.
Der Regierung dürfte man das zunächst nicht anmerken. Premier Fumio Kishida sitzt fest im Sattel. Der klare Wahlsieg seiner LDP bei der Oberhauswahl bestätigt ihn. Mit dem Ergebnis dürfte er schaffen, wovon Abe träumte: die pazifistische Verfassung zu ändern. Ansonsten setzt Kishida andere Akzente. Weil die Inflation steigt, sucht er Auswege aus der neoliberalen Abenomics-Strategie. Weil Russland die Ukraine angegriffen hat, kann er Abes Nähe zu Putin nicht fortsetzen.
Aber im Gefüge der Regierungspartei LDP reißt Abes Tod eine riesige Lücke. Abe hat sie einst aus der Krise geholt, sie nach rechts gerückt und ihr damit Orientierung gegeben. Als Führer der größten parteiinternen Gruppierung war er der wichtigste Mehrheitsbeschaffer. Und in den strengen Hierarchien des Establishments genoss er das Recht des Älteren. Dass er nicht mehr da ist, könnte die Chance für eine grünere, vielfältigere LDP sein. Aber die LDP wird von stramm konservativen Kräften geprägt. Die verstehen solche Chancen nicht. Sie brauchen eine Führungsfigur. Ohne Abe drohen der Regierungspartei Chaos und eitles Positionsgerangel. Und das ist schlecht für Japan in diesen schwierigen Zeiten.