Schweiz:Mit rauem Ton für Steuergerechtigkeit
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Jacqueline Badran ist das Mastermind der erfolgreichen Abstimmung gegen neue Steuergeschenke für Schweizer Unternehmen.
Von Isabel Pfaff
Ist diese Frau das Gesicht der neuen Schweiz? Einer Schweiz, die nicht mehr Steuerparadies um jeden Preis sein will? Jacqueline Badran würde einem diese Frage ganz sicher um die Ohren hauen. Die 60-jährige Schweizer Sozialdemokratin pflegt einen rauen Ton, und das nicht nur mit Journalisten. Selbst Regierungsmitglieder putzt sie zuweilen herunter, wenn es ihre politische Mission erfordert. Ueli Maurer, Finanzminister seit 2016 und Politiker der rechtskonservativen SVP, ist so etwas wie ihr Lieblingsfeind, denn Jacqueline Badrans Spezialität ist die Finanz- und Steuerpolitik. Ein Schlagabtausch der beiden in der "Arena" des Schweizer Fernsehens vor wenigen Wochen ging viral.
Sie erregt Aufsehen, diese streitlustige Zürcherin mit der vom Rauchen dunklen Stimme. "Jacqueline Badran, die drei Stunden pro Tag schläft, höchstens vier, braucht maximal fünf Sekunden, um auf hundert zu sein", schrieb 2013 das Magazin des Tages-Anzeigers über sie. Damals war sie nach vielen Jahren im Zürcher Stadtparlament noch relativ frisch im Bundeshaus in Bern. Mittlerweile gehört sie zu den erfahrensten und profiliertesten Abgeordneten der Schweiz, seit 2020 ist sie auch Vizepräsidentin ihrer Partei.
Nun aber haben Badrans Bekanntheitsgrad und auch ihre Popularität einen neuen Höhepunkt erreicht: Sie war es, die in den vergangenen Wochen zuvorderst gegen eine neue Steuererleichterung für Schweizer Unternehmen kämpfte - und siegte. Am Sonntag lehnte die Schweizer Stimmbevölkerung eine Reform des Bundesgesetzes über die Stempelabgaben ab. Mit der Gesetzesänderung wollten Finanzminister Maurer und die Mehrheit des Parlaments die Emissionsabgabe abschaffen, eine Sondersteuer, die immer dann anfällt, wenn man eine Firma gründet oder deren Eigenkapital erhöht.
"Schädlich für den Wirtschaftsstandort Schweiz", "Dämpfer für Innovationen", "Gefahr der Abwanderung": So warben die Befürworter für die Reform, und normalerweise funktionieren solche Argumente in der Schweiz gut. Denn es liegt bekanntlich nicht nur an den vielen top ausgebildeten Fachkräften und der hohen Lebensqualität, dass sich so viele Großkonzerne in dem kleinen Land angesiedelt haben, sondern auch an den niedrigen Steuern. Damit dieser Vorteil gewahrt bleibt, auch wenn demnächst die globale Mindeststeuer von 15 Prozent kommt, will der Finanzminister die Firmen an anderer Stelle entlasten.
"Wie ein altes Ehepaar"
Doch obwohl sich Maurer und Badran lange kennen und auch mögen (sie funktionierten manchmal "wie ein altes Ehepaar", sagte Maurer einmal vor dem Nationalrat), hat der Finanzminister offenbar nicht mit der Wucht der SP-Politikerin gerechnet. Die studierte Ökonomin, die ein IT-Unternehmen leitet, wurde zum Gesicht der Kampagne gegen den "Stempelsteuer-Bschiss", warf in Talkshows mit Zahlen um sich, dozierte lautstark über die ungerechte Steuerpolitik der Schweiz, die nur noch Lohn, Rente und Konsum besteuere und "das Kapital" Stück für Stück entlaste, und schnitt für ein Kampagnenvideo sogar Salamischeibe um Salamischeibe ab, damit es auch wirklich alle kapieren. Badrans Methode ging auf: Mit überraschend deutlichen 62 Prozent Nein-Stimmen erteilte die Schweiz am Sonntag dem Plan des Finanzministers eine Abfuhr. Da kamen selbst dieser hartgesottenen Politikerin kurz die Tränen.
Badran selbst beteuert bei jeder Gelegenheit, dass sie Streit und Zwietracht verabscheue und eigentlich ständig auf der Suche nach Kompromissen und Verständigung sei. "Das Schönste sind Konsenslösungen!", sagte sie, ganz Schweizerin, vor einigen Monaten in einem Fernsehporträt. Dass sie dem politischen Nahkampf trotzdem nicht aus dem Weg geht, bringt ihr quer durch die politischen Lager Respekt ein - geht aber offenbar auch an einer wie ihr nicht spurlos vorüber. Per Facebook teilte Badran am Montagabend überraschend mit, dass sie sich auf ärztlichen Rat eine Auszeit von der Politik nehmen werde, mindestens bis zum Sommer. Die "vielen Abwehrkämpfe" hätten ihr physisch und psychisch zugesetzt.