ItalienVon den Sternen in den Staub

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In Rom zerfällt die Einheitsregierung, die dem Land Halt und Reformen geben sollte. Grund sind die erratischen Cinque Stelle, die nun verglühen. Was bleibt, ist die Hoffnung auf einen Wortbruch des Premiers.

Von Andrea Bachstein

Inflation, Energienot, Pandemietrauma, dramatische Dürre - fehlte Italien noch eine Plage? Vielleicht Heuschrecken? Gibt es, aber nur auf Sardinien. Ganz Italien hingegen trifft nun die Regierungskrise, die in vorzeitige Wahlen münden könnte. Vor 17 Monaten trat Mario Draghi als parteiloser Premier an, redete wenig und brachte viel voran, was in Rom zuvor nicht vielen gelang. Die Bürger, gewöhnt an tumultuösen Politikbetrieb, staunten und schöpften Zuversicht. Auch in Europa erstarkte Italiens Einfluss - dank des früheren EZB-Chefs. Draghi stellte aber eine Bedingung dafür, dass er seinem Land aus der Patsche helfen sollte: Regieren werde er mit einer Formation der nationalen Einheit mit allen Parlamentsparteien (allein die postfaschistischen Fratelli d'Italia verweigerten sich). Nur solange diese Allianz halte, so lange stehe auch er zur Verfügung.

Das wussten die Senatoren der Fünf Sterne, als sie sich enthielten bei der endgültigen, mit der Vertrauensfrage verknüpften Abstimmung über ein wichtiges Gesetzespaket. Zwar kam das Paket durch, weil aber die Cinque Stelle der Regierung, der sie angehören, in den Rücken fielen, reichte Draghi den Rücktritt ein.

"Dies sollte ein schöner Tag sein", sagte eine sozialdemokratische Senatorin vor jener Abstimmung, weil das Gesetzespaket Hilfreiches für viele Bürger enthält - Investitionen, mit denen Italien aufholen kann. Die Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds geben dem verschuldeten Land die Chance, sozialer, moderner, wettbewerbsfähiger zu werden. Es war also ein schlechter Tag für Italien, an dem die Fünf Sterne das Ende einer effektiven Regierung provozierten. Verantwortungslos, weltvergessen - während Italien und Europa mit den Folgen des Ukraine-Krieges ringen.

Bei einer nächsten Wahl drohen die Fünf Sterne vor allem zu Staub zu zerfallen, während Rechtsradikale zur stärksten Kraft werden könnten. Umso absurder wirkt ihr destruktives Verhalten - ähnlich widersprüchlich wie ihre Haltung zu einer Müllverbrennungsanlage, die Rom von seinem chronischen und sehr akuten Abfallproblem erlösen soll. Den Sternen gelten solche Anlagen als Teufelswerk - das zählt zum Wenigen, dessen sie sich sicher sind.

So beschäftigt ist die Partei mit inneren Konflikten, dass sie den Ernst der Lage nicht erkennt. Panisch blickt sie auf Umfragewerte von elf Prozent, während sie sich einer pubertären Selbstfindungsphase hingibt. Viele haben die Sterne deshalb schon verlassen, gerade kam es zur offenen Spaltung: Die Gallionsfigur, Außenminister Luigi Di Maio, ging mit ihrem Gefolge. Der Widerstand seiner Partei gegen die Militärhilfe für die Ukraine öffnete den Riss zur Regierung, Di Maio war es zu viel. Er wurde im Amt politisch erwachsen, andere Sterne-Politiker nicht.

Die Cinque Stelle sind die Ausnahme, die Italiens Parteienlandschaft von anderen Ländern unterschied. Ihren Aufstieg verdanken sie auch einer weiteren Anomalie, Silvio Berlusconis Partei. Deren Programm war nur Berlusconi, und als er regierte, glich die Politik einem Tollhaus. Das trieb die Menschen zur Protestbewegung Cinque Stelle des Komikers Beppe Grillo. Es war ein ideologisch bunter Haufen, der unter anderem propagierte, dass nur Nichtpolitiker Parlamentarier werden sollten. In die Parlamente zogen sie rasch ein, heterogen, in stolzem Dilettantismus, mit unklaren Strukturen, Zielen, doch hehren Prinzipien. Manches hielt der Realität nicht stand, protestieren ist leichter als entscheiden. Aber 2018 wurden die Sterne stärkste Partei mit 32 Prozent und nahmen die rechtspopulistische Lega zum Koalitionspartner, es verband sie fast nur der Wille zur Macht.

Die Widersprüche sollte Giuseppe Conte als Premier wegmoderieren, ein Mann aus dem politischen Nichts. Mit seinen angenehmen Manieren machte er bald Bella Figura. Unklar blieb, wofür er stand. Geschmeidig glitt Conte als Premier in die ganz andere Koalition von Sternen und Sozialdemokraten, bis er hier die Mehrheit verlor. Er beschloss, Sterne-Führer zu werden. Auch darüber stritt die Partei erbittert, bis vor Gericht. Nun also führt ein Mann mit schemenhaft wirkender Ausrichtung eine Partei auf Identitätssuche. Das kann kaum funktionieren, zumal Sterne-Gründer Grillo als "Garant" weiter irrlichtert. Derart ratlos ist die Partei, dass sie nach dem Vertrauensbruch mit Draghi streitet, ob ihre Minister nun auch die Regierung verlassen sollen.

Draghi ist dieses Chaos unerträglich. Nun könnte es auch ein anderer als Premier versuchen. Im schlechtestes Fall kommt es zu Neuwahlen im Herbst, die Politik würde im Wahlkampf versinken. Ungewiss, ob der Haushalt dann rechtzeitig verabschiedet würde, an dem die Hilfen der EU hängen. Ungewiss, ob diese EU anschließend noch ein rechtspopulistisch regiertes Mitgliedsland verkraften muss. Fast muss man also hoffen, dass Draghi, der Zuverlässige, sein Wort bricht und weiterregiert.

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