Süddeutsche Zeitung

Israel:Spiel mit der Demokratie

Das Land droht mit jeder Wahl weiter nach rechts zu rücken, die politische Mitte ist ausgezehrt und das linke Lager marginalisiert. Ein Kollaps der jetzigen Regierungskoalition hilft nicht weiter.

Von Peter Münch

Es sind harte Zeiten für Israel. Die Corona-Pandemie hebt gerade an zur dritten Welle, die Wirtschaft liegt darnieder, die Stimmungslage: depressiv. Von außen droht Gefahr, wie immer und sogar noch mehr. Nach der gezielten Tötung des iranischen Atomwissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh hat das Regime in Teheran dem jüdischen Staat mit Vergeltung gedroht. Was Israel bräuchte in diesen Tagen, ist Stabilität. Was Israel bekommt, ist ein Kollaps der Regierungskoalition, der mit einiger Wahrscheinlichkeit zur vierten Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren führen wird.

Wahlen sind das Kernstück jeder Demokratie. Wenn die Bürger jedoch alle paar Monate zur Wahl gerufen werden, dann belegt das ein so eklatantes Versagen der politischen Führung, dass es der Demokratie Schaden zufügt. Es zeigt, dass in Israel die Politiker mit der Demokratie spielen, statt sie zu schützen. Und die Vorgänge in der Knesset am Mittwoch geben dafür ein Beispiel.

Dort hat sich das Bündnis Blau-Weiß von Verteidigungsminister Benny Gantz ermannt, gegen den Fortbestand der eigenen Regierung und mit der Opposition für eine Auflösung des Parlaments zu stimmen. Es ist eine Verzweiflungstat nach zahllosen Streits und Ränkespielen innerhalb der Regierung. Doch der Mann, der dafür verantwortlich ist, Premierminister Benjamin Netanjahu, wirft sich nun in die Brust, predigt den Wert der "Einigkeit" und bekundet seinen Willen, die Regierung noch zu retten. Ein wenig Zeit dazu würde tatsächlich noch bleiben. Das Gesetz zur Parlamentsauflösung muss noch in drei weiteren Lesungen bestätigt werden. Doch mehr als faule Kompromisse, die dem Machterhalt, aber nicht dem Wohl des Landes dienen, könnten dabei kaum noch herauskommen.

Allen Umfragen zufolge wird Netanjahu auch die nächste Regierung bilden können

Denn die aktuelle Regierungskrise hat mit dem Tag der Regierungsbildung im Mai begonnen. Von diesem Tag an hat Netanjahu seine Kraft vor allem dazu genutzt, die Zusagen zu untergraben, die er im Koalitionsvertrag gegeben hat - angefangen von der Verabschiedung eines Haushalts für die Jahre 2020/21 bis zur vereinbarten Rotation, also der Übergabe des Premiersamtes an Gantz im November 2021. Alle dabei von ihm aufgestellten Fallen, alle Hintertüren und Schlupflöcher dienen allein dem Zweck, ihm Luft zu verschaffen angesichts des gegen ihn eröffneten Korruptionsprozesses, der seine Macht und seine Freiheit bedroht.

Mitschuldig daran, dass Netanjahu ungeniert die eigenen Interessen über die des Landes stellen kann, ist jedoch auch sein bisheriger Koalitionspartner Gantz. In den knapp zwei Jahren seit seinem Eintritt in die Politik ist der frühere Armeechef zu einem Ritter von sehr trauriger Gestalt geworden. Statt Netanjahu abzulösen, wie er es seinen Wählern versprach, hat er sich von ihm in eine Regierung locken und dort vorführen lassen. Seine Glaubwürdigkeit hat er komplett verspielt.

Ein Ende dieser desolaten Regierung kann also kein Verlust sein, sondern nur eine Erlösung. Dazu jedoch müsste es auch Hoffnung auf Besserung geben - und die ist nicht in Sicht. Insgesamt droht Israel mit jeder Wahl weiter nach rechts zu rücken, die politische Mitte ist ausgezehrt und das linke Lager marginalisiert. Allen Umfragen zufolge wird Netanjahu auch die nächste Regierung bilden können. Wenn es für die aktuelle Koalition jetzt zu einem Ende mit Schrecken kommt, heißt dies nicht, dass die harten Zeiten für Israel vorbei sind.

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