Israel:"Die Lage der Holocaust-Überlebenden wird immer schwieriger"

Israel: Colette Avital

Colette Avital

(Foto: Gil Cohen-Magen/Reuters)

Colette Avital kämpft seit Jahrzehnten für die Rechte der Holocaust-Überlebenden in Israel und in Deutschland. Über eine Frau, die hilft, weil es sie zufrieden macht.

Von Peter Münch

Kraft braucht man auf diesem Posten, um sich jeden Tag erneut mit den schlimmsten Gräueln zu befassen. Durchhaltevermögen ist nötig, um jahrzehntelang die gleichen Kämpfe auszufechten. Und obendrein braucht man wohl auch noch eine optimistische Ader. "Objektiv wird die Lage der Holocaust-Überlebenden immer schwieriger, sie sind alt und haben andere Bedürfnisse", sagt Colette Avital. "Aber der Umgang der Regierungen mit ihnen ist in Israel und anderswo über die Jahre deutlich besser geworden."

Diese Verbesserung hat viel mit ihrer Arbeit zu tun. Colette Avital ist Vorsitzende des Dachverbands von 58 Holocaust-Organisationen in Israel. Als Vorstandsmitglied der internationalen Claims Conference verhandelt sie überdies in jedem Jahr mit deutschen Regierungsvertretern über Entschädigungszahlungen. Fragt man sie, warum sie das mit 81 Jahren immer noch auf sich nimmt und deshalb all ihre anderen Leidenschaften - für die klassische Musik, fürs Kino, fürs Kochen - wohl eher zu kurz kommen, dann sagt sie: "Darauf habe ich keine Antwort. Wahrscheinlich ist es mein Charakter. Wenn ich helfen kann, macht mich das zufrieden."

Das Kämpfen hat sie früh lernen müssen, als jüdisches Kind in Rumänien, wo sie 1940 geboren wurde. Sie hat mit ansehen müssen, wie der Vater von Nazis halb totgeprügelt wurde. Zusammen mit der Mutter hauste sie bis zum Kriegsende in verschiedenen Verstecken in Bukarest. 1950, mit zehn Jahren, kam sie nach Israel.

Oft war sie die erste Frau auf einem herausragenden Posten

Dem jüdischen Staat hat sie vier Jahrzehnte lang als Diplomatin gedient. Oft war sie die erste Frau auf einem der hervorgehobenen Posten, zum Beispiel als Generalkonsulin in New York oder Botschafterin in Portugal. 1999 wechselte sie von der Diplomatie in die Politik. Sie wollte gestalten und zog als Abgeordnete der linken Arbeitspartei in die Knesset ein. Dort sorgte sie als Vorsitzende einer Parlamentskommission dafür, dass die Erben von Tausenden Todesopfern entschädigt wurden, deren Geld von israelischen Banken zunächst als Kapital ohne Besitzer betrachtet worden war.

2007 griff sie, wieder einmal als erste Frau, nach dem höchsten Amt im Staat. Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl zog sie jedoch ihre Kandidatur zurück, zugunsten von Schimon Peres. Mit dem 2016 verstorbenen Friedensnobelpreisträger verband sie eine lange berufliche Beziehung, mit der Familie zudem eine Freundschaft. Umso heftiger fielen die Schlagzeilen aus, als sie Peres im vorigen Jahr in einem langen Interview mit der Zeitung Haaretz sexuelle Übergriffe bei zwei Begegnungen in den Achtzigerjahren vorwarf. "Ich wollte keinen Skandal daraus machen", sagt sie heute. "Aber ich wurde gefragt und wollte nicht lügen. Schließlich habe ich immer für Frauenrechte gekämpft."

Bald wird ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen

Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen beiden Jahren auch einen düsteren Schatten auf ihre Arbeit für die Holocaust-Überlebenden geworfen. Etwa 180 000 leben noch in Israel, doch auch viele von ihnen wurden infiziert, viele starben. "Wenn diese alten Menschen isoliert werden durch Covid, kommen viele der alten Traumata zurück", berichtet Colette Avital.

Möglichst bald in nächster Zeit soll sie für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet werden. Die Verleihung hätte schon im November sein sollen, musste aber verschoben werden. "Ich fühle mich geehrt", sagt sie - und verhehlt auch nicht, dass diese Auszeichnung aus Deutschland natürlich anders ist als Ehrungen, die sie aus Frankreich, Spanien oder Portugal bekommen hat. Sie lobt die Bemühungen der deutschen Regierungen, ihrer Verantwortung aus dem Holocaust gerecht zu werden. Und sie weiß, wie wichtig die Arbeit auch dann noch bleibt, wenn die letzten Überlebenden gestorben sind. "Wenn kein Geld mehr für die Entschädigung der Opfer gebraucht wird", sagt sie, "dann muss es in die Bildungsarbeit investiert werden."

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