Islamischer Staat:Das war höchste Zeit

Islamischer Staat: Eine Insassin läuft im März durch das Gefangenenlager Camp Roj im Nordosten Syriens.

Eine Insassin läuft im März durch das Gefangenenlager Camp Roj im Nordosten Syriens.

(Foto: Delil Souleiman/AFP)

Nein, es ist kein Vergnügen, IS-Sympathisanten zurückzuholen. Trotzdem ist es dringend geboten. Warum hat es so lange gedauert, dass Deutschland Verantwortung übernimmt?

Kommentar von Stefan Braun

Das Einzige, was man jetzt sagen kann, ist das Wörtchen: immerhin. Immerhin hat es die scheidende Bundesregierung doch noch geschafft, in einer Sache tätig zu werden, die längst überfällig gewesen ist. So unangenehm die Aufnahme deutscher Sympathisanten des sogenannten "Islamischen Staates" auch sein mag - viel zu lange hat die Bundesregierung alles getan, um diese Pflicht zu ignorieren. Damit hatte sie ausgerechnet jene kurdischen Einheiten in Nordsyrien mit einem hochgefährlichen Problem alleingelassen, die nach allem, was man heute weiß, einen ziemlich heroischen Kampf gegen die Terrormiliz des IS geführt haben.

Viele schöne Worte gab es danach von Seiten der Amerikaner, der Europäer, überhaupt von allen in der Anti-IS-Allianz. Von da an aber haben vor allem auch die Deutschen einfach so getan, als sei das große Problem wegdelegiert, erledigt, im besten Fall verschwunden.

Das aber war es nie und ist es bis heute nicht. Seit der Niederschlagung dessen, was der IS mal sein Kalifat nannte, gab es Hunderte, ja Tausende, die aus diesem sogenannten Kalifat in Gefängnisse wanderten. Ihre Überzeugungen, ihr Hass gegen den Westen, auch ihre Gewaltbereitschaft waren mit der Niederlage nicht einfach verschwunden. Sie kamen aus arabischen Staaten, aber auch aus Ländern des Westens.

Diese Menschen in den Lagern schmoren zu lassen, wäre sehr kurzsichtig

Und je länger sie seither in Gefangenenlagern - wie dem besonders berüchtigten Lager von Roj - vor sich hinleben, desto aggressiver sind viele geworden. Seit Langem berichten humanitäre Helfer von erbärmlichen Zuständen in den Lagern. Weder die Versorgung noch die Betreuung noch die polizeiliche Ausstattung sind so, dass man auch nur einigermaßen anständig von akzeptablen Verhältnissen sprechen könnte.

Nun mag es Menschen geben, die glauben, dass das bei IS-Sympathisanten angemessen sein könnte. Viel kurzsichtiger aber könnte man nicht denken. Wer in solchen Verhältnissen lebt, wird sich wohl kaum demokratisch aufklären lassen, sondern seine Ansichten radikalisieren. Seit geraumer Zeit weiß jeder, der sich für die Lage dort interessiert, dass es keinen Ort auf der Welt gibt, in dem es neue IS- und Terrorideologen so einfach haben, Nachwuchs zu rekrutieren. Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Umso verantwortungsloser war es, diese Entwicklung so lange so offensiv zu ignorieren.

Nun hat die Bundesregierung acht Frauen und ihre 23 Kinder aufgenommen. Endlich. Es ist, jedenfalls für die scheidende Regierung, der viel zu späte Versuch, die eigene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Diese steht auf dem Spiel, wenn man nur dann von Verantwortung auf der Welt redet, wenn es abstrakt bleibt - und sie immer dann, wenn es wehtut, möglichst klein schreibt.

Die Kinder müssen raus aus der Terrorideologie

Nein, es ist kein Vergnügen, diese Menschen zurück nach Deutschland zu holen. Aber es ist dringend geboten. Zum einen, weil die Frauen und Kinder wegmüssen von den dort agitierenden Terrorideologen. Zum Zweiten, weil Frauen, die sich selbst an derlei beteiligt haben, vor Gericht gestellt werden müssen. Und drittens, weil es jeden Versuch lohnt, die Kinder aus den Fängen dieser Ideologie zu holen. Einfach ist das sowieso nicht, ja, es dürfte sehr schwer werden. Aber den Versuch gar nicht zu machen, ist nicht hinnehmbar.

Der Anfang in diesem schweren Kapitel ist gemacht. Mehr aber auch nicht. Es wäre fatal, sollte die Bundesregierung jetzt denken, sie habe ihre Schuldigkeit getan. Das ist falsch. Sie hat endlich dem entsprochen, was ihr das Völkerrecht längst vorgibt. Peinlich genug, dass sie dieser Pflicht erst jetzt gerecht wurde.

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