Parlamentswahl in Irland:Ein Einschnitt, der die irische Politik verändern wird

Wahl in Irland 2020: Sinn Fein-Chefin Mary Lou McDonald bejubelt das Ergebnis

Sinn-Féin-Chefin Mary Lou McDonald

(Foto: Charles McQuillan/Getty Images)

Die Partei, die Irlands Teilung beenden will, hat bei der Parlamentswahl deutlich zugelegt. Der bemerkenswerte Erfolg von Sinn Féin wird die Debatte um ein vereintes Irland neu entfachen.

Kommentar von Alexander Mühlauer

In Irland gibt es einen Spruch, den dort fast jeder kennt: "Tiocfaidh ár lá" - "Unser Tag wird kommen". Dies war der inoffizielle Slogan der IRA, die einst gewaltsam für ein vereinigtes Irland kämpfte. Auch wenn die Worte an dunkle Zeiten erinnern, machte sich Sinn-Féin-Chefin Mary Lou McDonald diese zu eigen, als sie die Parteiführung vor zwei Jahren übernahm.

Nun hat Sinn Féin, der ehemals politische Arm der Untergrundorganisation, einen erstaunlichen Erfolg erreicht. Hochrechnungen und ersten Auszählungsergebnissen zufolge liegt die Partei bei der Parlamentswahl erstmals auf Augenhöhe mit Fine Gael und Fianna Fáil - oder sogar vor ihnen. Beide Parteien regieren Irland seit fast 100 Jahren, wenn auch nie miteinander. Es ist ein Einschnitt, der die irische Politik verändern wird. Noch nie schien der Tag, den Sinn Féin ersehnt, so nahe zu sein wie jetzt.

Der Aufstieg der Partei hat vor allem einen Grund: McDonald positionierte Sinn Féin als linke Alternative zu Fianna Fáil und Fine Gael, der Partei von Premierminister Leo Varadkar. Weil die Politik der beiden konservativen Kräfte nur in Nuancen zu unterscheiden ist, konnte Sinn Féin klassische sozialdemokratische Themen setzen, die seit Jahren vernachlässigt worden sind.

Am Boom, den Irland nach der Finanzkrise von 2007/2008 erlebt hat, konnten längst nicht alle teilhaben. Gerade für viele junge Iren ist es schwer, sich in Dublin eine Wohnung zu leisten. Und um zu sehen, wie überlastet das Gesundheitssystem ist, genügt ein Aufenthalt in einem der maroden Krankenhäuser. Sinn Féin versprach, diese Probleme anzugehen. Auch wenn viele Versprechen kaum finanzierbar sind, wie etwa die Rente mit 65, forderte Sinn Féin die konservativen Parteien damit heraus.

Für die irischen Fischer und Landwirte steht viel auf dem Spiel

Doch so klar der Erfolg von Sinn Féin auch ist, so offen ist nun die Regierungsbildung in der Dáil, dem irischen Parlament. Fest steht nur: Es wird sehr schwer. Mit ziemlicher Sicherheit wird Sinn Féin wohl nicht die Regierungschefin stellen, da die Partei nicht genug Kandidaten für das Parlament aufgestellt hat. Sie ist vom eigenen Erfolg schlichtweg überrascht worden. Im Grunde gibt es nun zwei Möglichkeiten: entweder wieder eine fragile Minderheitsregierung oder eine Regierung mit stabiler Mehrheit.

Dafür müsste aber mindestens eine der Parteien ein Wahlversprechen brechen und eine Koalition eingehen. Leicht wird das nicht, denn Fianna Fáil und Fine Gael haben eine Zusammenarbeit mit Sinn Féin ausgeschlossen. Fine-Gael-Chef Varadkar ist wiederum offen für eine Koalition mit Fianna Fáil, was deren Vorsitzender, Micheál Martin, aber bislang ablehnt.

Angesichts der kommenden Brexit-Verhandlungen wäre eine stabile Regierung das Beste. Für die irischen Fischer und Landwirte steht viel auf dem Spiel, ebenso für den Finanzplatz Dublin. Je nachdem, welche Rolle Sinn Féin künftig einnimmt, könnte die Frage eines vereinigten Irlands auch im Zuge der Brexit-Verhandlungen wieder an Dynamik gewinnen.

Mit dem Austrittsabkommen ist eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zwar verhindert worden. Aber insbesondere junge Iren sehen in einer Vereinigung die Zukunft der irischen Insel. Sie waren es auch, die Sinn Féin maßgeblich zum Wahlerfolg verholfen haben; was auch daran liegen mag, dass viele von ihnen den blutigen Nordirlandkonflikt nicht erlebt haben. Wie es aussieht, haben die Gräuel der Vergangenheit ein Stück weit ihren Schrecken verloren.

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Leserdiskussion
:Wahlerfolg für Sinn Féin: Zeit für ein vereintes Irland?

Der ehemalige politische Arm der IRA, liegt erstmals auf Augenhöhe mit den großen Parteien Fine Gael und Fianna Fáil. Welche Rolle Sinn Féin künftig einnimmt, könnte die Frage eines vereinigten Irlands wieder an Dynamik gewinnen, kommentiert SZ-Autor Kommentar von Alexander Mühlauer.

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