Die französische Schauspielerin Juliette Binoche, die schwedische EU-Parlamentarierin Abir Al-Sahlani und viele andere im Westen schneiden sich vor Kameras Haarbüschel ab, um die aufgebehrenden Iranerinnen zu unterstützen. Was ist das - Gratismut? Nun, die Bürgerinnen in Demokratien riskieren nicht ihren Kopf, wie das dieser Tage etwa die iranischen Jugendlichen tun, von denen immer weitere in Polizeigewahrsam misshandelt werden oder sterben. Sie riskieren aber etwas erst einmal Unscheinbares: die eigene Gleichgültigkeit.
Was hat das Publikum im Westen nicht alles mit Gleichmut zur Kenntnis genommen: die antiputinistischen Pussy-Riot-Aktionen in Moskau. Den vergeblichen Aufstand in Belarus. Das Leid der Uiguren in China. Und und und. Man hatte eine Meinung, um alles Weitere mochten sich Politiker sorgen. Die aber reagieren in Demokratien auf öffentlichen Druck, schon deshalb kann es politische Folgen haben, sollten sich nun massenweise Europäer mit den Iranerinnen solidarisieren.
Haare zu schneiden ist eine universell einsetzbare Geste, so wie es der Kniefall für die "Black Lives Matter"-Bewegung war. Das Haar ist als Körperprodukt etwas Ureigenes. Gleichzeitig tut sein Verlust nicht weh, ein bisschen davon herzugeben, ist kein masochistischer Akt. Das lange weibliche Haar soll in zahlreichen Kulturen verführen oder darf dies gerade nicht tun. Darüber selbst zu verfügen, es nach Belieben zu zeigen, zu verdecken oder eben zu kürzen, ist ein Symbol der Selbstermächtigung.
Einen Unterschied gibt es zu Bewegungen wie etwa "Me Too": Die neue Welle richtet sich nicht gegen viele kleine Diktatoren, sondern gegen einen diktatorisch betriebenen Staat, gegen den sich keine Rechtsmittel einlegen lassen. Was nicht heißt, dass die Langbärtigen am Ende ungeschoren davonkommen werden. Die internationale, an Menschenrechten interessierte Öffentlichkeit probiert gerade erst aus, was sie alles kann.