Süddeutsche Zeitung

Iran:Tod unter dem Kopftuch

Eine Iranerin stirbt, weil ihr Kopftuch nachlässig gebunden war? Der Fall zeigt einmal mehr: Der Gottesstaat der Islamischen Republik Iran ist weder gottgewollt noch dient er seinen Menschen.

Kommentar von Tomas Avenarius

Eine Iranerin stirbt, weil ihr Kopftuch nachlässig gebunden, vielleicht nur verrutscht war? Der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die wegen ihrer "unsittlichen" Bekleidung von Tugendwächtern offenbar zu Tode geprügelt worden ist, bestätigt, was seit vier Jahrzehnten klar wird: Der Gottesstaat der Islamischen Republik Iran ist weder gottgewollt noch dient er seinen Menschen. Und selbst wenn die Frau nicht unter den Schlägen der Sittenpolizei, sondern an einem Hirnschlag gestorben sein sollte - der Fall spricht für sich. Eine gottgewollte Kleiderordnung für Frauen? Eine Kleiderordnung, die mit Gewalt durchgesetzt wird? Absurd, ob in Iran, Afghanistan oder Saudi-Arabien.

Die Proteste, die wegen des Todes von Mahsa Amini nun in mehreren Städten ausgebrochen sind, zeigen dem Theokratensystem, dass es die eigenen Bürger fürchten muss. Und die wenig überzeugenden Erklärungen und Ausreden, die die Regierung von sich gibt, beweisen, dass die Verantwortlichen das bestens wissen. Allein die Tatsache, dass die iranische Führung im 21. Jahrhundert noch Sittenpolizisten auf die Straße schickt, zeigt, dass dieses Gesellschaftssystem, abgesehen vielleicht von der frühen Anfangszeit, bis heute keine umfassende Akzeptanz bei den Iranern findet.

Ja, zweifellos gibt es überzeugte Anhänger des Gottesstaats mit seinem irdischen "Geistlichen Führer" an der Staatsspitze. Aber trotz vier Jahrzehnten Propaganda, Gehirnwäsche und rücksichtsloser Unterdrückung jeder Art von Opposition sind immer mehr Iraner längst nur noch frustriert von der Theologen-Diktatur, der miesen Wirtschaftslage, der allumfassenden Korruption und der Machtfülle der Revolutionsgarden, die Staat und Wirtschaft gnadenlos ausbeuten. Die Islamische Republik wird kaum zusammenbrechen wegen der jüngsten Proteste. Aber irgendwann einmal wird ein Anlass wie der Tod von Mahsa Amini dem maroden Theokratensystem den Garaus machen.

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