Süddeutsche Zeitung

Irak:Zündeln an der Lunte

In Bagdad könnten sich die proiranischen Hardliner durchsetzen. Damit droht die Regierungskrise zu einem bewaffneten Konflikt zu werden. Das würde die gesamte Region mitreißen.

Kommentar von Mirco Keilberth

Im Irak droht die schwerste politische Krise der vergangenen Jahre in einen bewaffneten Konflikt zu eskalieren. Zur Zeit stehen sich der Königsmacher und Strippenzieher Moqtada al-Sadr und eine proiranische Parteienallianz gegenüber. Der geistliche Führer al-Sadr beweist mit der wiederholten Besetzung des Parlaments, dass er die Straße jederzeit mobilisieren kann. Der schiitische Block um den ehemaligen Premierminister Nuri al-Maliki setzt auf schwer bewaffnete paramilitärische Einheiten, die von Teheran ausgerüstet und gelenkt werden. Sollten sich die Kontrahenten nicht auf einen Regierungschef einigen, droht dem Irak ein Bürgerkrieg.

Seit seinem Sieg bei den Parlamentswahlen im Oktober versucht al-Sadr erfolglos, eine eigene Regierung zu formieren. Doch in Teheran will man den seit Jahren etablierten Einfluss über das an Öl reiche Nachbarland nicht aufgeben und blockiert al-Sadrs Machtübernahme.

Iran nutzte das Machtvakuum im Nachbarland

Die iranische Führung nutzte das mit der US-Invasion entstandene Machtvakuum und auch die ethnischen und ideologischen Spannungen, die Langzeitherrscher Saddam Hussein hinterlassen hat, geschickt aus. Die Wahlen im Oktober ermöglichten die Neusortierung des politisch paralysierten Landes. Ein Kompromiss erschien möglich, denn al-Sadr verbrachte aus Angst vor den amerikanischen Besatzern vier Jahre im iranischen Exil und ist politisch äußerst wendig. Große Teile der politischen Szene und die Bevölkerung des multireligiösen und multiethnischen Staates waren nach den Wahlen zu einem nationalen Dialog bereit.

Doch in dem proiranischen Lager haben sich die Hardliner durchgesetzt. Der seit Beginn des Ukraine-Krieges in der Region tobende Machtkampf droht den Irak zwischen Iran und den USA aufzureiben. Europa sollte einen nationalen Dialog mit allen Seiten einfordern und auch mit Teheran sprechen. Denn ein implodierender Irak ist eine ernste Gefahr für die gesamte Region und Europa.

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