EZB:Die besonnene Frau Lagarde

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Muss ihren eigenen Kurs verfolgen: EZB-Chefin Lagarde. (Foto: POOL/REUTERS)

Die EZB erhöht die Zinsen nicht - trotz Rekordinflation. Unverschämt? Nein, genau richtig.

Kommentar von Bastian Brinkmann

Christine Lagarde hält Kurs. Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) erhöht die Zinsen nicht. Viele Deutsche können das kaum glauben: Die Inflation erreicht in der Euro-Zone ein Rekordniveau - und die EZB macht nichts? Diese Kritik ist unfair und falsch. Dass der EZB-Rat besonnen handelt, ist dagegen genau richtig.

Gerade passiert alles, was den Puls der Zentralbanker in die Höhe treibt. Die Preise steigen so schnell wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Inflation liegt bei mehr als sieben Prozent. Und nun bremst Russlands Krieg in der Ukraine die wirtschaftliche Erholung nach der Pandemie enorm. Vielleicht droht gar direkt die nächste Rezession. In Krisenzeiten wollen Notenbanker die Leitzinsen eigentlich nicht erhöhen, weil jeder Viertelprozentpunkt, um den die Zinsen steigen, die Konjunktur weiter ausbremst - besonders jetzt ein Dilemma.

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Trotzdem werden die Zinsen in Europa wohl wieder steigen, ja steigen müssen. Das weiß auch EZB-Präsidentin Lagarde. Auf der Oster-Sitzung der Zentralbank betonte sie, dass die EZB ihre Anleihenkäufe voraussichtlich im Sommer beenden wird. Über diese Anleihenkäufe steckt die EZB viele Milliarden Euro in den Wirtschaftskreislauf, und sie hört bereits Stück für Stück damit auf. Erst wenn sie gar keine Anleihen mehr kauft, sind Zinserhöhungen überhaupt möglich.

In der technischen Sprache der Geldpolitik hat Lagarde mit dem Hinweis auf das Schlussdatum der Anleihenkäufe ein starkes Signal gesendet, das sich so übersetzen lässt: Eine Zinserhöhung könnte später in diesem Jahr gut und gerne kommen. Es ist also mitnichten so, dass die EZB gar nichts macht, wie manche Kritiker behaupten. Sie steigt bereits aus der lockereren Geldpolitik aus und stellt Zinserhöhungen in Aussicht.

Manche fordern von der EZB mehr Tempo. Doch es erscheint richtig, die Zinserhöhung noch zurückzuhalten. Falls aus dem Russland-Schock für die europäische Wirtschaft noch eine große Energie-Wirtschaftskrise wird, muss die EZB die Lage neu bewerten.

Die EZB darf nicht warten, bis die Inflation unkontrollierbar wird. Das macht sie aber auch nicht. Geraten die Preise auf breiter Front ins Rutschen, wird die Situation gefährlich. Doch das lässt sich in den wirtschaftlichen Daten noch nicht erkennen. Im Moment sind es immer noch vor allem die vom Krieg in enorme Höhen getriebenen Energiekosten, die die Inflation anziehen lassen. Löhne dagegen steigen nicht wie verrückt. Die Beschäftigten finden das vermutlich nicht so dolle, aber um die Inflation zu kontrollieren, ist das eine gute Nachricht. Und falls sich die Daten ändern, wird die EZB sich umentscheiden und schneller handeln.

Aber in den USA erhöht die Notenbank Fed doch die Zinsen viel mutiger? Es stimmt, dass die amerikanische Zentralbank viel straffer agiert. Doch die dortige Wirtschaft verlangt genau das. Die Corona-Hilfspakete in den USA waren größer als in der Euro-Zone, die US-Wirtschaft läuft schon wieder heiß. Amerikaner haben viel mehr Geld zur Verfügung als Europäer - und geben es mit beiden Händen aus. Das treibt die Inflation ganz anders als diesseits des Atlantiks. Die EZB darf die Fed daher nicht einfach kopieren. Christine Lagarde muss ihren eigenen Kurs verfolgen.

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