Corona-Krise:Beim Impfen denken die reichen Länder nur an sich

Corona-Krise: Nur wenige Menschen in Afrika erhalten bisher eine Impfung gegen Covid-19, hier eine Frau auf dem Land in Kenia.

Nur wenige Menschen in Afrika erhalten bisher eine Impfung gegen Covid-19, hier eine Frau auf dem Land in Kenia.

(Foto: BRIAN ONGORO/AFP)

Teilen, was knapp ist, zum Beispiel das Vakzin - das ist so eine einfache Regel. Und so schwer zu beherzigen.

Kommentar von Georg Mascolo

Es ist gut möglich, dass diese Wochen des Frühsommers 2021 einmal als ein Wendepunkt in die Geschichte der Sars-CoV-2-Pandemie eingehen werden. In einigen Ländern normalisiert sich endlich das Leben, zwei kleine Stiche in den Oberarm nehmen der Krankheit ihren Schrecken. Es sind allerdings nur jene Länder, die sich Impfstoffe leisten können und das Gros der Produktion frühzeitig gesichert haben. Allzu viele sind das nicht, weshalb die Weltgesundheitsorganisation (WHO) inzwischen neun Tote pro Minute zählt. Die Vakzine kommen in den ärmeren Teilen der Welt nicht an, was WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus wütend als "Impfstoff-Apartheid" bezeichnet. Es ist ein grausames Wort, aber leider trifft es die Situation.

Pandemien, so sagt man, halten Gesellschaften den Spiegel vor. Man kann gar nicht mögen, was man da sieht. Der reiche Teil der Welt, angeführt von Europa und den USA, hat sein Versprechen gebrochen, auch nur für eine einigermaßen fair zu nennende Verteilung des lebensrettenden Stoffs zu sorgen. Zuletzt stritten die USA und Europa öffentlich darüber, wie man das zumindest in der Zukunft ändern könnte. Dann plädierte die US-Regierung, die jeden Export aus dem eigenen Land lange faktisch unmöglich gemacht hatte, ohne jede vorherige Abstimmung mit den europäischen Partnern für eine Freigabe der Patente. Die bis dahin größten Egoisten belehrten öffentlich die Europäer, die mit ihren Exporten jedenfalls weit mehr für ein kleines bisschen Impfstoff-Gerechtigkeit getan hatten.

Alle gucken die Pressekonferenzen des RKI. Aber die der WHO?

Es wäre unfair, die Verantwortung für all dies allein bei den Regierungen zu suchen. Auch im deutschen Rund-um die-Uhr-Diskurs taucht die Verteilungsfrage vergleichsweise wenig auf. Dieselben Parteien - und oft auch Medien - , die üblicherweise Solidarität und Gerechtigkeit propagieren, thematisieren dies kaum. Die Pressekonferenzen des RKI-Chefs Lothar Wieler werden live übertragen, die des WHO-Manns Tedros hingegen kaum beachtet. Wer diskutiert überhaupt die jüngste Aufforderung des Äthiopiers, jetzt erst einmal auf das Impfen jüngerer Menschen in den reichen Staaten zu verzichten und stattdessen zumindest das Gesundheitspersonal in aller Welt zu immunisieren?

Die Risiken, einen Teil der Welt durchzuimpfen und den Rest zu vernachlässigen, sind hinreichend beschrieben. Sie sind moralischer, aber auch medizinischer Art. Dass Großbritannien von der Bundesregierung gerade (trotz weit fortgeschrittener Impfung) zum Virusvariantengebiet erklärt wurde, ist nur die jüngste Mahnung dafür: Die Begründung ist ja die sich dort verbreitende indische Mutation. Und doch scheint keine politische Partei in Deutschland der Öffentlichkeit diese schwierigen Debatten zumuten zu wollen. Gerechter Zugang zu Impfstoff spielt hierzulande kaum eine Rolle, gemessen jedenfalls am Thema "Öffnung der Außengastronomie". Ja, es ist verständlich, der pandemiemüden Gesellschaft weitere Einschränkungen und Zumutungen ersparen zu wollen - vor allem auch den Kindern und Jugendlichen, die in den vergangenen Monaten so gelitten haben. Aber es war noch nie gut, auf die schwierigsten Fragen mit den einfachsten Antworten zu reagieren.

Vorschläge zur gerechten Verteilung gäbe es

Inzwischen ist ein wenig Bewegung in die Sache gekommen. Die Pharmaindustrie verspricht Lieferungen in die ärmeren Länder, auf dem G-7-Gipfel im Juni in Cornwall wollen Europa und die USA über eine gemeinsame Strategie beraten. Es geht endlich um die Bereitstellung von Impfdosen aus den eigenen Kontingenten und die Frage der Patente. Ein Expertengremium der WHO hat zu alldem Vorschläge auf den Tisch gelegt: Mindestens eine Milliarde Impfdosen für die 92 ärmeren oder Länder mit geringen Einkommen bis zum 1. September; weitere zwei Milliarden Dosen bis Mitte 2022.

Die Pharmafirmen sollen drei Monate Zeit erhalten, um freiwillig Lizenzen freizugeben. Andernfalls sollen diese nach dieser Frist unverzüglich Patente freigegeben werden, damit die Produktion weltweit ausgebaut werden kann. Benötigt wird jetzt eine Strategie, die die Not des Augenblicks lindert und dafür sorgt, dass auch dann genügend Impfstoff für alle bereitsteht, wenn in der Zukunft Auffrischungen oder sogar neue Impfungen notwendig werden. Damit dann der Zyklus - die Reichen zuerst, der Rest irgendwann - nicht von vorne beginnt. Hierfür die Produktionskapazitäten zu schaffen, ist die Aufgabe der reichen Staaten dieser Erde.

Bis dahin werden sie, bis dahin werden wir alle, teilen müssen, was knapp ist: Es ist so einfach. Und so schwer.

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