Süddeutsche Zeitung

Impfgipfel:Jetzt geht's los. Vielleicht

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Gemessen an der Größe der Krise ist beim Impfen bislang so gut wie nichts angemessen organisiert worden. Das bringt den Zusammenhalt im Land in Gefahr. Der Impfgipfel war wenigstens ein Anfang, um es von nun an besser zu machen.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Jeder gegen jeden - wenigstens darauf hätte man in dieser Pandemie gerne verzichtet. Doch je länger sich die Probleme beim Impfen ausbreiten, je mehr Berichte es gibt über leer stehende Impfzentren in den Ländern, über verzögerte Lieferungen durch die Hersteller, über vermeintlich zu kleine Bestellungen durch die EU-Kommission und über gravierende Lücken beim Impfen der Ältesten - desto heftiger spüren viele Politiker den Drang, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Dass es so gekommen ist, ist nicht nur ärgerlich, sondern auch gefährlich. Dieses Theater ist so ziemlich das Letzte, was das Land gerade gebrauchen kann.

Der Impfgipfel konnte das nicht ungeschehen machen. Trotzdem war er überfällig. Inzwischen sind Gräben aufgebrochen, die womöglich so schnell nicht mehr zugeschüttet werden können. Da ist der Graben zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission, die in der Pandemie eng zusammenarbeiten wollten und doch nicht mehr sicher sein können, ob sie noch Partner sind oder Kontrahenten werden. Da ist der Graben zwischen Bund und Ländern, die kooperieren müssen, aber mit dem Streit ums Impfen fast alle Lust auf diese Kooperation verloren haben. Und da ist der Graben in der Koalition, die zu Beginn dieser Krise einen zweiten Frühling erlebte, aber jetzt durch mittelmäßige Planung und miserable Kommunikation auch metaphorisch im tiefen Winter steckt.

Es gibt zu viele Gräben. Und womöglich kommt noch ein besonders gefährlicher dazu

All das ist schon für sich genommen kein gutes Zeichen. Aber es könnte auch noch einen anderen Graben aufreißen, den gefährlichsten sogar: zwischen Regierenden und Regierten. Nichts ist in solch einer Krise so wichtig wie das Vertrauen der Menschen. Nichts freilich ist auch so fragil, wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass eine Regierung nicht mehr merkt, was bei den Leuten los ist.

Wer sich umhört bei Freunden, Kollegen, Verwandten, wem junge Menschen vom Fehlen aller Kontakte berichten und alte von ihrer Furcht - der spürt Unverständnis und Frust, Zorn und Enttäuschung. Nicht alles daran ist berechtigt. Aber immer mehr davon ist nachzuempfinden.

Eines nämlich stimmt: Gemessen an der Größe der Krise ist beim Impfen bislang so gut wie nichts angemessen organisiert worden. Am überfälligen Impfgipfel vom Montag war nicht sein Zustandekommen erstaunlich - sondern dass er nicht früher organisiert wurde. Warum kam niemand auf die Idee, ein solches Treffen im Spätsommer, spätestens aber im Herbst zu organisieren? Warum gab es weder in den Ländern noch im Bund den Vorschlag, früh mit der Industrie Kapazitäten zu prüfen? Und warum wurde nicht früh geregelt, wie ein Netz an Impfstationen und mobilen Impfteams aussehen könnte? Ja, sicher, hinterher ist man immer schlauer. Aber diesen Impfgipfel hätte man vorher organisieren können. Wie sagte es die Kanzlerin schon im März 2020: Diese Pandemie ist die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Wenn das stimmt, wäre beim Impfen viel früher viel mehr Organisation angemessen gewesen.

Impfen - das war das große und das einzige Versprechen

Dass der Ärger jetzt groß ist, sollte niemanden wundern. Keine Strategie, keine Investition, erst recht kein Arzneimittel ist im Kampf gegen Covid-19 mit einem vergleichbaren Versprechen verbunden worden wie das Impfen. Dieses war von Anfang an das Tor zurück in die Freiheit, zurück ins Leben, zurück ins Glück der Zeit vor der Pandemie. Es war im Grunde das einzige Tor.

Zugleich freilich zeichnete sich früh ab, dass Impfen zwar einfach klingt, aber kompliziert, schwierig und langwierig werden würde. Niemand wusste, welcher Impfstoff als erster zugelassen würde. Und deshalb hätte auch niemand in der EU voreilig nur auf diesen oder jenen Impfstoff setzen dürfen, ohne hinterher allergrößten Ärger zu riskieren. Viele Klagen, die man heute hört, sind, so gesehen, vor allem: scheinheilig. Aber die Regierung hätte früh ahnen können, wo Unternehmen mit ihren Kapazitäten an ihre Grenzen kommen. Sie hätte früh Kooperationen anregen und unterstützen können. Und sie hätte den Menschen früher zeigen müssen, was sie unternimmt, um vorbereitet zu sein, wenn es losgeht.

Angela Merkel sagte vor knapp einem Jahr, es gehöre zwingend zu offenen Demokratien, dass Regierungen ihre Arbeit transparent machten, dass sie sie gut begründen und gut für sie werben würden. Nur so könnten die Menschen das alles auch verstehen. Doch so klar dieser Anspruch damals von der Kanzlerin formuliert wurde, so klar ist heute, dass sie ihm beim Impfen nicht gerecht geworden sind.

Der Impfgipfel war, so gesehen, wenigstens ein Anfang, um es von nun an besser zu machen - ein bitter nötiger Anfang zumal bei dem Versuch, die Menschen nicht zu verlieren, die seit bald einem Jahr mit immer noch breiter Mehrheit das Vorgehen der Regierung mittragen. Was für ein Kapital ist das in einer solchen Krise. Das kann man sich gar nicht oft genug vor Augen führen. Es jetzt zu verspielen, wäre eine Katastrophe.

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