Profil:Ilja Jaschin

Profil: Wegen Ungehorsams gegen Polizisten musste Ilja Jaschin Ende Juni für gut zwei Wochen in Haft - und da ist er immer noch.

Wegen Ungehorsams gegen Polizisten musste Ilja Jaschin Ende Juni für gut zwei Wochen in Haft - und da ist er immer noch.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/dpa)

Russischer Oppositioneller, den Putin nicht aus der Haft lässt.

Von Frank Nienhuysen

Die 15 Tage waren rum, um 1.20 Uhr in der Nacht zum Mittwoch sollte Ilja Jaschin aus der Moskauer Arrestzelle freikommen. Aber was heißt das schon? Er wusste es selbst nicht. Jaschin ist einer der bekanntesten und einer der letzten russischen Oppositionspolitiker, die den Krieg gegen die Ukraine kritisieren und immer noch in ihrer Heimat leben. Zwei Wochen musste er in Haft, weil er angeblich Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet hatte, Beamte beleidigt habe, als er mit seiner Freundin im Park spazierte. Einer der Zellentage war sein 39. Geburtstag. Aber Jaschin ahnte, dass es auch danach mit der Freiheit vielleicht nichts werden könnte. "Vielleicht lassen sie mich raus", schrieb er am Dienstag auf seinem Telegram-Kanal, "vielleicht nicht. Ich bin selber gespannt."

Er weiß es jetzt. Bis September muss er vorerst in Haft bleiben. Aber es geht um Jahre, im schlimmsten Fall um zehn. Die russischen Behörden haben gegen Ilja Jaschin ein Strafverfahren begonnen, weil er angeblich Falschmeldungen gegen die russische Armee verbreitet hat, "diskreditierende Falschmeldungen". Jaschin spricht von einem "politisch motivierten Verfahren". Der liberale Politiker ist eben gegen den Krieg. Anlass war ein Youtube-Video über die Morde von Butscha. Sein Haus wurde bereits durchsucht.

Dass es immer enger würde für ihn, hat Ilja Jaschin natürlich gewusst. Er ist seit mehr als zehn Jahren einer der prägenden Regierungskritiker in Russland. Boris Nemzow war sein Freund, Alexej Nawalny auch. Der eine tot, der andere vergiftet und verhaftet. Jaschin, schlank, kurzes dunkles Haar, hat sich nichts vorgemacht. Festnahmen ziehen sich seit mehr als einem Jahrzehnt durch sein Oppositionsleben. Er erzählte einmal, dass er dauernd Anfragen von Anwälten bekomme, prophylaktisch, für den Fall, dass er abgeholt werde. Zuletzt hat der liberale Politiker den Vorsitz eines Moskauer Bezirksparlaments aufgegeben, weil der Druck zu groß geworden ist. Im vergangenen Jahr wurde er mitten im Interview festgenommen, kurz vor einem Treffen unabhängiger Lokalpolitiker in einem Moskauer Hotel. Aber Russland verlassen? Das wollte er nicht.

Seine erfolgreichste Zeit war wohl der Protestwinter 2011/12

Jaschin, in Moskau geboren und zur Uni gegangen, wollte schon immer etwas verändern und dafür kämpfen. Freunde von ihm gingen früh fort aus Putins Russland, Jaschin glaubte an einen Wandel. Seine Diplomarbeit im Politikstudium: Technologien der Organisation von Straßenprotest im modernen Russland. Er protestierte auch früh gegen die eigene Partei, die liberale Jabloko. Jaschin wollte das demokratische Lager stärken, die Partei öffnen, mit außerparlamentarischen Bewegungen zusammenbringen. Jabloko drängte ihn raus, Jaschin machte weiter. "Solidarnost", "Parnass", in Russland bekannte Oppositionsbewegungen und -parteien: Er gehörte immer zum Führungspersonal.

Vielleicht war Jaschins erfolgreichste Zeit der Protestwinter 2011/12. Damals, mit Alexej Nawalny, rief er zu Massenprotesten gegen Wladimir Putin und dessen bevorstehende Rückkehr in den Kreml auf. Immer wieder kamen Zehntausende Menschen zu Demonstrationen, und wenn Jaschin nicht gerade einen Mehrtage-Arrest absaß, war er im Kapuzenpulli dabei und spürte, hoffte vielmehr, dass da gerade eine neue, angstfreie Generation entstehe. Damals war er mit Ksenija Sobtschak zusammen, einer reichen, einflussreichen Moderatorin, deren Vater einst Putins Förderer in Petersburg gewesen war. Sie stellte sich mit Jaschin auf die Protestbühnen. Ein politisches Glamourpaar.

Aber Putin kam zurück. Und es traf natürlich auch Jaschin prompt. Unmittelbar nach Putins Wahl zum Präsidenten erzählte Jaschin der SZ, wie er sich nach einem Protest im überfüllten, vergitterten Polizeibus wiederfand, "in so einem Käfig", und stundenlang durch die Gegend tuckerte. Von da an sollten die Zeiten für Russlands Oppositionelle mit jedem Jahr schlechter werden. Als am Mittwoch das Moskauer Gericht über den Fall Ilja Jaschin beriet und draußen ein paar Unterstützer standen, wurden schon die Nächsten festgenommen.

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