Profil:Igor Benevenuto

Lesezeit: 2 min

In einem Podcast hat sich der brasilianische Schiedsrichter Igor Benevenuto offen zu seiner Homosexualität bekannt. (Foto: Jales Valquer/imago/Fotoarena)

Offen homosexueller Fifa-Schiedsrichter aus Brasilien.

Von Christoph Gurk

Oft sind die wahren Helden ja die, die nicht ganz vorne stehen im Rampenlicht. Keine Stürmerstars oder Torschützenkönige, sondern Männer wie Igor Júnio Benevenuto de Oliveira, Brasilianer, Fifa-Schiedsrichter - und seit Kurzem auch offen homosexuell. "Von heute an werde ich keine Version meiner selbst mehr sein", erklärte Benevenuto vor ein paar Tagen in einem Interview mit einer brasilianischen Sportjournalistin. "Kein Versteckspiel mehr. Keine Filter. Endlich ich selbst."

Das Interview, gesendet in einem Podcast, der sich mit Homosexualität im Fußball befasst, schlug ein wie eine Bombe. Auf der einen Seite, weil der Sport - allen Bemühungen zum Trotz - immer noch schwulenfeindlich ist, auf dem Platz, auf den Tribünen und erst recht in Brasilien, dem Land, in dem weltweit die meisten Homosexuellen getötet werden.

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Dazu kommt aber noch ein weiterer Punkt: Läuft alles so wie geplant, könnte Benevenuto in ein paar Monaten auch bei der WM in Katar pfeifen. Dort ist Homosexualität nicht nur illegal, sondern wird auch mit schweren Strafen belegt. Sie reichen von Auspeitschen und Haft bis zu Hinrichtung.

41 Jahre alt ist Igor Benevenuto, und Fußball, sagt er, war eigentlich schon immer Teil seines Lebens. "Dabei habe ich den Sport bald aus tiefstem Herzen gehasst." Benevenuto ist aufgewachsen in Minas Gerais, einem Bundesstaat im Südosten Brasiliens. Schon früh sei ihm klar gewesen, dass er Männer liebt, aber auch, dass er diese Liebe nicht offen zeigen kann. Am Sonntag in der Kirche predigte der Priester, dass es neben der heterosexuellen Ehe nur eine andere Option des richtigen Lebens gibt: das Zölibat. "Lange habe ich geglaubt, dass etwas Böses in mir steckt", sagt Benevenuto.

Nachmittags, wenn er mit seinen Kumpels auf der Straße kickte, machten diese schwulenfeindliche Witze. Benevenuto beschloss mitzuspielen, im wahrsten Sinne des Wortes: "Es gab keinen perfekteren Ort, um meine Sexualität zu verstecken."

1994 sah Benevenuto dann im Fernsehen die WM in den Vereinigten Staaten. Erstmals durften die Schiedsrichter bei dem Turnier abweichen von den schwarzen Trikots. Benevenuto war fasziniert, von den Farben, aber auch von der Figur, die alles kontrolliert auf dem Spielfeld. Er beschloss, dass dies von nun an seine Rolle sein sollte, und am nächsten Tag begann er, die Spiele seiner Freunde zu pfeifen, mit Senf- und Ketchup-Tütchen in der Hosentasche, weil er kein Geld hatte für gelbe und rote Karten.

Während der Corona-Krise schob er freiwillig Dienst im Krankenhaus

Während er langsam aufstieg und bald auch professionelle Spiele pfiff, machte Benevenuto eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Nach dem Abschluss ging er in die Verwaltung, als Brasilien aber im Frühjahr 2020 die ersten Fälle von Covid-19 registrierte, meldete sich Igor Benevenuto freiwillig zum Dienst im Krankenhaus. "Ich habe einmal geschworen, Menschen zu helfen", sagt er, "das ist meine Pflicht."

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Heute verkleidet sich Benevenuto, wann immer er Zeit hat, als Klinikclown, mit Pappnase und lustigem Hut, um kranken Kindern ein bisschen Freude zu bringen. "Doutor Gravatinha" nennt er sich, "Dr. Krawatte", weil er diese sammelt, 300 habe er bei sich zu Hause.

Ansonsten aber steht Igor Benevenuto auf dem Fußballplatz. Schiedsrichter ist kein ungefährlicher Job in Brasilien: Als Benevenuto vor ein paar Monaten bei einer Partie zwischen den Lokalrivalen Cruzeiro und Atlético aus Belo Horizonte einen entscheidenden Strafstoß gab, bekam er nach Spielende Morddrohungen.

Sein Coming-out dürfte die Sache nicht leichter machen. Andererseits: "Es gibt so viele Schwule im Fußball", sagt Benevenuto. Viele würden sich mit ihrer Sexualität nicht an die Öffentlichkeit wagen. "Aber wir existieren und wir haben ein Recht auf Normalität." Er selbst, sagt Igor Benevenuto, wolle sich nicht mehr verstecken. "Ich bin Igor Júnio Benevenuto de Oliveira. Ein Schiedsrichter. Ein Mann. Ein Homosexueller." Und, ja, auch das: ein Held.

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