Hungerkrise:Fluch der Globalisierung

Hungerkrise: So sieht es dort aus, wo eine Hungersnot ist: Szene aus einem Krankenhaus im Tschad im Mai

So sieht es dort aus, wo eine Hungersnot ist: Szene aus einem Krankenhaus im Tschad im Mai

(Foto: ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/AFP)

Wenn Indien und Indonesien ihre Exporte stoppen, um die Armen im eigenen Land zu schützen, sterben anderswo die noch Ärmeren. Was das für Europa bedeutet? Sehr viel mehr, als man heute wahrhaben möchte.

Kommentar von David Pfeifer

Vielleicht wird man sich in Europa an diese Zeit bald zurückerinnern als Phase, in der man sich mit eigenen Sorgen ablenken durfte, von den größten Problemen dieser Welt. Es war auch in Deutschland nicht einfach, mit der Pandemie. Und der Krieg gegen die Ukraine macht viele betroffen. Doch die Folgen, die beide Probleme in anderen Teilen der Welt auslösen, sind noch viel gewaltiger und komplexer, als man sich das derzeit vorstellen mag.

Am Samstag hat die indische Regierung einen Exportstopp für Weizen verhängt. Das ist nicht so sehr eine direkte Folge der brutalen Hitzewelle, unter der das Riesenland derzeit zu leiden hat, sondern eine Reaktion auf gestiegene Preise auf dem Weltmarkt. Man will die Armen im eigenen Land schützen, die ohnehin von zwei Jahren Pandemie gebeutelt sind. Ähnlich handelte vor einigen Wochen Indonesien, der größte Exporteur von Palmöl. Der größte Abnehmer von indonesischem Palmöl: Indien. Einer der größten Importeure von indischem Weizen ist: Indonesien. So schaukeln sich derzeit die Probleme auf. Und die Preise.

Durch den Krieg in der Ukraine und die abgerissenen oder blockierten Lieferketten hat sich ein Schmetterlingseffekt in Gang gesetzt. Die steigenden Kraftstoff-, Arbeits-, Transport- und Verpackungskosten treiben auch den Preis für Weizenmehl in die Höhe. Indien hat in diesem Jahr zwar nicht die angestrebte Rekord-Ernte eingefahren, aber man könnte weiter Weizen exportieren. Nur sind die Preise eben so sehr gestiegen, dass sie den von der Regierung festgelegten Stützpreis weit übersteigen. Durch das Exportverbot steigen die Preise nun überall anders auf der Welt. In Europa und den USA ist das durch besser gefüllte Geldbeutel auszugleichen. Nicht aber in den ärmsten Ländern Afrikas und Asiens.

Wo es ums Überleben geht

In Nigeria, dem Südsudan und in Jemen etwa geht es unmittelbar ums Überleben. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen hat errechnet, dass die Preise für Nahrungsmittel im Jahr 2022 im Vergleich zu 2019 bereits um 30 Prozent gestiegen sind. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Menschen, die nicht wissen, wo die nächste Mahlzeit herkommen soll, in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt - von 135 Millionen auf 276 Millionen. 48,9 Millionen Menschen sind bereits von akuter Hungersnot betroffen. Vier Faktoren befeuern die Entwicklung: Konflikte, die Erderhitzung, die Pandemie und die gestiegenen Kosten. Kurzfristig beheben ließe sich von den vieren nur der letzte Punkt.

Das Wort Krise wirkte zuletzt etwas ausgeleiert. In Europa kommt der Sommer mit leichter Verspätung an, man will auch mal abschalten, vom Krieg in der Ukraine und zwei Jahren Alltagseinschränkungen. Nur hat sich im Schatten von Krieg und Pandemie eine weitere Krise aufgetürmt, die bleiben wird, auch wenn die anderen überstanden sein werden. Da es sich dabei um eine Krise der wirtschaftlichen Globalisierung handelt, kann man etwas dagegen tun: mit Geld. Die finanziellen Mittel, die man jetzt einsetzt, um das Elend in anderen Teilen der Welt zu verringern, sind eine Investition in die eigene Zukunft. Denn die Ärmsten, die heute leiden, werden nicht nur anderswo sterben, sie werden versuchen sich in reiche Länder zu retten, die jahrelang von der globalisierten Wirtschaft profitiert haben. Das kann man ihnen nicht verdenken.

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