Süddeutsche Zeitung

China:Fliehen aus Hongkong

Nichts ist mehr, wie es war in der Stadt, die einst als Insel der Freiheit galt. Wer kann, verlässt die Metropole. Mit ihrem Schweigen toleriert die Weltgemeinschaft Pekings Taten.

Von Lea Sahay

Fünf Jahre ist die Höchststrafe für all jene, die es an diesem Freitag, 4. Juni, wagen werden, in Hongkong auf die Straße zu gehen. Seit mehr als drei Jahrzehnten erinnern die Menschen der chinesischen Sonderverwaltungszone in einer Gedenkfeier an die Opfer des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens. Das ist jetzt vorbei.

Nur eine Minderheit sollte das sogenannte "Sicherheitsgesetz" betreffen. Das hat Peking versichert, als es das Gesetz vor einem Jahr erließ. Die Grundrechte, die jedem Hongkonger zugesichert sind, sollten unangetastet bleiben, Meinungs- und Pressefreiheit nicht eingeschränkt werden. Die Welt hat Peking allzu gerne geglaubt. Erst müsste man sehen, wie China das Gesetz anwende, hieß es. Ein Art Vertrauensvorschuss für Peking, als hätte es zwei Deutungsmöglichkeiten gegeben. Fünf Jahre Haft stehen jetzt auf das Entzünden einer Kerze. Das ist Hongkongs neue politische Realität.

Und die Zerstörung hört nicht auf. Mit der radikalen Wahlrechtsänderung ist Hongkongs demokratisches System ausgehebelt. Auch wenn die letzten Bezirkswahlen gezeigt haben, dass eine große Mehrheit die Forderungen nach demokratischen Reformen unterstützt. Oppositionskandidaten wird es kaum mehr möglich sein, ins Parlament einzuziehen.

Die Metropole ist ein Mahnmal geworden, das niemand sehen will

Schritt für Schritt entkernt Peking das demokratische System. Der Medienunternehmer Jimmy Lai, der Peking öffentlich herausgefordert hat, ist erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Sein Vermögen ist weitestgehend eingefroren. Die Sicherheitsbehörden haben erstmals auch seine Banken bedroht, um seine chinakritische Zeitung Apple Daily in die Knie zu zwingen.

Ihr Ende naht und steht für das Schicksal einer ganzen Branche. Journalisten werden bedroht oder aus der Stadt ausgesperrt. Fernsehprogramme zunehmend vorgegeben. Jüngst hat das Gericht eine Demokratin in Haft behalten, weil sie Nachrichten mit internationalen Medien austauschte. Interview mit einem Korrespondenten als Kollaboration mit ausländischen Kräften? Journalismus ist in Hongkong jetzt offiziell ein Verbrechen.

Nichts ist mehr, wie es war in der Stadt, die einst als Insel der Freiheit galt. Die prodemokratischen Aktivisten sind in die Illegalität vertrieben, Tausende Aktivisten inhaftiert. Eine ganze Generation junger Menschen weggesperrt, traumatisiert und gefangen in einer Stadt, die keine Zukunft mehr für sie bietet.

Wer kann, verlässt die Metropole. Es ist eine Fluchtbewegung Hunderttausender Menschen vor den Augen einer Welt, die sich entschieden hat zu schweigen. Wie kein anderer Ort der Welt ist die Stadt zu einem Symbol dafür geworden, was es bedeutet, wirtschaftlich abhängig zu sein von China. Die Metropole ist ein Mahnmal geworden, das niemand sehen will.

Auch zwei Jahre nach Ausbruch der Massenproteste hat das chinesische Vorgehen in Hongkong kaum Konsequenzen. Für den Rest der Welt sieht das aber anders aus. Die Zügellosigkeit autokratischer Regime hat nicht in Hongkong angefangen. Sie hat dort aber auch nicht aufgehört. Mit ihrem Schweigen hat die Weltgemeinschaft Pekings Taten toleriert.

Die Folgen sind nicht nur bei Konflikten wie im Südchinesischen Meer zu erleben, bei denen China immer rigoroser Tatsachen schafft. Sie lassen sich auch in anderen Ländern finden, wenn Diktatoren Flugzeuge von Himmel holen oder eine Militärregierung ihr Volk niedermetzelt. Die Menschen in Hongkong haben ihre Freiheit zu verlieren. Die freie Welt ihre Glaubwürdigkeit.

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