Süddeutsche Zeitung

Debatten:Vorsicht, Eigenheim

Die Grünen müssen sich mal wieder sorgen, als Verbotspartei dazustehen. Aber die große Frage der nächsten Jahre ist ohnehin: mehr Freiheit oder mehr Zwang?

Kommentar von Josef Kelnberger

Die Debatte um Toni Hofreiter und das deutsche Eigenheim wirkt wie ein Relikt aus der Zeit vor der Pandemie. Man könnte fast nostalgisch werden. Ein Grüner gibt ein Interview, in dem die Wörter "Einfamilienhaus" und "Verbot" auftauchen, und kurze Zeit später vermitteln manche Wortmeldungen den Eindruck, die Grünen wollten die Eigenheimbesitzer aus ihren Häusern zerren und bei Wasser und Brot in Hochhaussiedlungen stapeln. So läuft die Meinungsrotationsmaschine: hochtourig im Leerlauf.

Selbst schuld, Toni Hofreiter, kann man da nur sagen. Wer in der modernen Kommunikationsgesellschaft Botschaften aussendet, muss nicht nur auf den Inhalt, sondern gleichermaßen auf die Form achten und alle möglichen Wirkungen mitdenken. So gesehen war es wenig geschickt, all den deutschen Eigenheimmenschen durch die Wortwahl den Eindruck zu vermitteln, ihre Lebensform für tendenziell unmoralisch zu halten.

Das kommt gerade in einer Pandemie nicht gut an, wenn die Menschen auf ihre eigenen vier Wände zurückgeworfen sind. Und es liefert der Konkurrenz Stoff für den Kampf gegen die Grünen als "Verbotspartei".

Könnte Hofreiter noch Wohnungsbauminister werden?

Könnte also Toni Hofreiter in einer schwarz-grünen, oder grün-schwarzen, Bundesregierung noch Wohnungsbauminister werden? Auszuschließen ist das nicht, denn mittlerweile hat die Debatte in Teilen eine erstaunliche Wendung genommen. Politiker aus CDU und CSU geben Hofreiter in der Sache recht: Einfamilienhäuser seien umweltpolitisch fragwürdig, sie leisteten der Zersiedelung Vorschub.

Deshalb müssten Kommunen in bestimmten Fällen das Recht haben, Baugebiete ohne Einfamilienhäuser auszuweisen. Ein zartes Pflänzchen der Debattenkultur ist das. Es nährt die Hoffnung, der politische Streit könnte nach der Pandemie doch anders geführt werden als vorher, weniger ideologisch und näher an der Sache.

Im Prinzip bietet sich die Corona-Politik als Muster für die Klimapolitik an. Noch nie war politisches Handeln in der Bundesrepublik so existenziell an einem Zweck orientiert: möglichst viele Menschenleben zu retten, ohne durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens das Gemeinwesen zu zerstören.

Genauso eindeutig dürfte die Mission der nächsten Bundesregierung definiert sein. Im Zentrum wird der Kampf gegen den Klimawandel stehen, die Gestaltung einer ökologisch-sozialen und zugleich freiheitlichen Gesellschaft. Die Herausforderung ist, zumal angesichts der Corona-Spätfolgen, noch größer als die Pandemie, und sie ist genauso dringend. Dabei gibt es gewichtigere Themen als das Eigenheim, um über eher freiheitliche oder eher dirigistische Wege zu streiten, genau wie in der Pandemie.

Der Staat muss organisieren und das Volk ihm vertrauen

Möglicherweise haben Verbot und Anordnung in den vergangenen Monaten für viele Deutsche ihren Schrecken verloren. Maskenpflicht, Ausgangssperre, Kontaktbeschränkungen, die Schließung von Schulen und Geschäften: All das lässt sich nicht in freiwilliger Übereinkunft mündiger Bürgerinnen und Bürger organisieren und auch nicht, indem der Staat Anreize für freiwilliges Handeln gibt.

Das muss der Staat durchsetzen. Zu unterschiedlich sind die Interessen in einer freiheitlichen Gesellschaft, gerade wenn die Risiken so ungleich verteilt sind wie in der Corona-Pandemie. Und ist es letztlich nicht auch bequem für den Einzelnen, wenn der Staat ihn auf dem Weg durch die Pandemie an der Hand nimmt?

Andererseits lassen sich die solche Freiheitsbeschränkungen nur aufrechterhalten, solange die Bürgerinnen und Bürger in ihrer großen Mehrheit von deren Sinn überzeugt sind und sich bis ins Privatleben hinein daran halten. Die deutsche Corona-Politik, streng gekettet an wissenschaftliches Zahlenwerk, scheint gerade an einem kritischen Punkt angelangt zu sein. Sie droht, den Rückhalt in der Gesellschaft zu verlieren.

Gut möglich also, dass sich nach der Pandemie Widerstand regt gegen einen Freiheitsbegriff, der der Sicherheit untergeordnet und insofern kollektiviert ist. Das könnte dazu führen, dass das Wahlvolk der Union und den Grünen in der Bundesregierung die FDP als Dritten im Bunde zur Seite stellt, als freiheitliches Korrektiv.

Ob Laschet im Wahlkampf ohne Grünen-Klischees auskommen wird?

Mehr Zwang oder mehr Vertrauen in freiheitliche Lösungen? Als personifiziertes Dilemma erscheint nun der CDU-Vorsitzende Armin Laschet, wenn er klagt, der Staat behandle die Bürger zunehmend "wie unmündige Kinder", und sich mit dem ihm eigenen Ungeschick dabei von der Corona-Verbotspolitik distanziert, die er doch selbst mitgetragen hat.

Auch er dürfte, sollte er als Kanzlerkandidat antreten, nicht ohne Grünen-Klischees auskommen und behaupten, sie wollten den Bürgern alles Mögliche verbieten, Autofahren, Fernreisen, Fleischessen und eben Eigenheimbewohnen.

Die Grünen haben allerdings unter den Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck eine Meisterschaft darin entwickelt, die durchaus dirigistischen Tendenzen in der Partei (zu besichtigen in Linkskoalitionen in den Ländern) bundespolitisch ins Ungefähre wegzumoderieren. Und so stehen die Grünen offiziell nun fest zum deutschen Eigenheim, zumindest bis zur Wahl.

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