Süddeutsche Zeitung

Klimapolitik:Es braucht jetzt keine Leisetreter

Nach der Flutkatastrophe hat der Wahlkampf sein Thema bekommen. Doch anstatt die Klimapolitik anzupacken, agieren die Kandidaten ängstlich und verzagt. Warum nur?

Kommentar von Stefan Kornelius

Eigentlich dürfte es unumstritten sein, welches Thema die Schlussphase des Bundestagswahlkampfs bestimmt. Bei etwa 180 Todesopfern und einer dreistelligen Zahl noch immer vermisster Menschen wird es für jeden Wahlkämpfer schwer sein, in den nächsten Wochen über Pflegesätze oder Digitalisierung zu sprechen. Die Sturzflut, das Klima, die Infrastruktur, die Kompetenz des Staates - ganz elementare Fragen der Daseinsvorsorge könnten nun die Kampagnen vorantreiben. Allein: Die Parteien schauen geradezu angsterfüllt und zaghaft auf das Tableau.

Es ist nicht verwerflich, auch in der Katastrophe und im Leid eine politische Chance (oder weniger offensiv formuliert: einen Auftrag) zu sehen. Am Ende sind es die Kunst der Vermittlung, die Fähigkeit zur Empathie und die Geschlossenheit von Botschaft und Bild, die den Kandidaten hier einen Vorteil verschaffen könnten. Armin Laschet, der zum frühestmöglichen Zeitpunkt seine Verantwortung erkannt hat, bewegt sich dennoch bang durch die Trümmer. Sein Grinsegesicht überdeckte alle richtigen Worte, von denen der Ministerpräsident viele gesprochen hat. Da half es ihm auch nicht, dass der Bundespräsident bei derselben Gelegenheit denselben Fehler beging: Auch Frank-Walter Steinmeier stand mit allzu fröhlicher Miene in der Feuerwehrhalle.

Armin Laschet ist Gefangener seiner Klimapolitik

Vor allem aber ist Laschet Gefangener seiner Klimapolitik. Anders als Markus Söder hat er früh auf Abgrenzung zu den Grünen gesetzt und versäumt es nicht, hehre Klimaziele stets mit der wuchtigen Fußnote zu versehen, dass der Umbau der Wirtschaft nicht auf Kosten von Wachstum und Wohlstand gehen dürfe. Das verbaut ihm nun die Chance, die Katastrophe als Triggerpunkt für eine neue Klimapolitik zu sehen.

Umso perfider, dass es der bayerische Ministerpräsident ist, der die alte Unionsfehde nun aus der Distanz weitertreibt, wenn er in einer pompösen Klima-Regierungserklärung die Vorverlegung des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 fordert. Das ist so durchschaubar wie billig: Söder kann viel fordern - er muss nicht zahlen. Dass er in diesem Moment Applaus vom VW-Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess bekommt, ist geradezu frivol. Der Autokonzern wird keine Sekunde zögern und die Politik prügeln, wenn 2030 die Energiemengen für die Elektromobilität oder die Produktion eben nicht zur Verfügung stehen.

Warum nur sind die Grünen so verzagt?

Neben dem Dauerstichler Söder sind es aber die Grünen, die in der politischen Flutbewältigung das größte Rätsel aufgeben. Wenn Laschet ängstlich durch die Trümmer stapft, dann ist Annalena Baerbock geradezu verzagt. Um nicht als Katastrophentouristin beschimpft zu werden, fuhr sie ohne Begleitung in die Flutgebiete. Entschuldigung? Ist es nicht verdammte Pflicht einer Politikerin mit Kanzlerinnenambitionen, sich zu zeigen und ihre Antwort auf dieses Desaster zu geben?

Bisher beschränken sich die Grünen, die doch die Kernkompetenz für Ökologie beanspruchen, auf die Forderung nach einer Neuordnung der Katastrophenvorsorge. Klimapolitik? Eine Attacke gegen Laschets 2038-Ziel? Ein Instinkt für die offene Flanke des CDU-Kandidaten? Entweder sind die Grünen schon mit dem Kopf im Regierungsamt und wollen die nahenden Koalitionsgespräche mit Laschet nicht überladen. Oder sie wissen, dass sie mit hehren Klimazielen auch Angst bei vielen Wählerinnen und Wählern auslösen. Die Flutkatastrophe offenbart also auch einen politischen Mangel: Hinhaltendes Taktieren steht über Prinzip - und das merken die Wähler.

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