Süddeutsche Zeitung

Nordrhein-Westfalen:Wüst bricht auf

Der neue Ministerpräsident spricht von einem Kohleausstieg schon im Jahr 2030. Na, so was.

Von Christian Wernicke

Das Motto, das Hendrik Wüst für seine erste Regierungserklärung wählte, ist mehr Wunsch als Wirklichkeit. "Wir haben alle Chancen", verhieß Nordrhein-Westfalens neuer Ministerpräsident am Mittwoch im Landtag. Wüst, seit nunmehr einer Woche der Erbwalter von Armin Laschet, weiß sehr wohl, wie es um ihn und seine schwarz-gelbe Koalition steht: Dürften seine Bürger bereits am kommenden Sonntag abstimmen - sie würden den Mann aus dem Amt jagen, kaum dass der sich eingerichtet hat. Er hätte keine Chance.

Wüst bleiben nicht einmal sieben Monate bis zur Landtagswahl im Mai 2022. Für den 46-jährigen CDU-Politiker wird dies eine lange Gratwanderung: Er muss einerseits loyal das Vermächtnis preisen, das ihm Laschet hinterlassen hat - und gleichzeitig Signale für einen vermeintlichen Aufbruch aussenden. Wüsts Auftritt am Mittwoch geriet zum Exempel für diese Unternehmung: Er lobte Erreichtes, vom Kampf gegen Clans bis zum Aktionsplan für mehr Schwimmunterricht. Gleichzeitig aber riskiert Wüst erste Brüche. Sein überraschender Vorstoß etwa für einen Kohleausstieg möglichst schon im Jahr 2030 ist nicht nur fürs Klima wichtig. Es ist ebenso das Zeichen eines Politikers, der das Richtige wagt, um im Amt zu überleben.

Wüst pokert. Der Düsseldorfer Regierungschef weist den Ampel-Koalitionären in Berlin die Verantwortung dafür zu, ob die Braunkohle-Bagger im Rheinischen Revier früher stillstehen als erst 2038, wie bisher geplant. Tatsächlich entscheidet sich in Berlin, ob beschleunigte Genehmigungsverfahren neue Stromtrassen, mehr Gaskraftwerke und Windräder ermöglichen. Sollten Rote, Grüne und Gelbe sich auf eine solche Energiewende verständigen, möchte Wüst von einem Lerneffekt zumindest der Gelben profitieren: Allen voran die FDP in NRW bremst bisher den Ausbau der Windenergie. Würde sie in Berlin nun einlenken, müsste sie auch in Düsseldorf nachgeben. Für Wüst wäre es ein wichtiger Sieg - und eine Chance fürs Land

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