Staatsfinanzen:Der Haushalt, eine düstere Vorahnung

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)

Finanzminister Christian Lindners Haushaltsentwurf hält die Schuldenregeln ein - dank eines beherzten Griffs in die Rücklagen.

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Die Schuldenbremse greift wieder: Christian Lindners erster eigener Etatentwurf ist vordergründig ein Triumph für ihn. Doch schon bald kommen wegen Corona, Inflation, Ukraine-Krieg und Energiekrise große Verteilungskonflikte auf das Land zu.

Kommentar von Henrike Roßbach, Berlin

Es ist ein Erstlingswerk, über das sich das Kabinett an diesem Freitag beugen wird. Der Haushaltsentwurf 2023 steht auf der Tagesordnung, und es ist der erste, für den Christian Lindner als Finanzminister komplett alleine verantwortlich war. Die vorangegangenen Entwürfe hatte alle noch sein Vorgänger maßgeblich konzipiert, der inzwischen Bundeskanzler ist.

Dieses Schicksal dürfte Lindner eher nicht ereilen. Vielleicht versucht er ja deshalb, aus seinem jetzigen Amt das Maximum herauszuholen. Dass sein erster Haushalt etwas ganz Besonderes sein sollte, hat er jedenfalls oft genug deutlich gemacht: Lindner-Original, nur echt mit der Schuldenbremse!

Seit Russland die Ukraine überfallen hat, wurde in Berlin viel darüber geraunt, ob die FDP sich schon wieder die falschen Ministerien ausgesucht habe. Lindner wollte mindestens so dringend Finanzminister werden wie seinerzeit Guido Westerwelle Außenminister. Während dieser danach mit ansehen musste, wie das Unionsduo Schäuble/Merkel vom Finanzministerium und Kanzleramt aus zunächst das zentrale FDP-Versprechen einer Steuerreform kassierte, um danach den Liberalen bei der Selbstzerstörung zuzusehen, darf Lindner nun seit Wochen besichtigen, wie das grüne Duo Habeck/Baerbock wegen des Ukraine-Kriegs qua Amt ins Zentrum des Geschehens gerückt ist. Er selbst musste sich damit begnügen, die benötigten Milliarden anzureichen.

Wer was will, das was kostet, kommt an ihm nicht vorbei

Angesichts des Haushaltsentwurfs geht man aber keine allzu gewagte Wette ein, wenn man voraussagt: Schon bald dürfte deutlich seltener die Frage gestellt werden, ob die FDP mit dem Finanzressort aufs falsche Pferd gesetzt hat.

Denn durch die Nachwehen der Corona-Pandemie, die Inflation, den Ukraine-Krieg und die Energiekrise kommen Verteilungskonflikte auf das Land zu, die ihren Niederschlag in den Haushalten finden werden, die Lindner in diesem und den kommenden Jahren aufstellen wird. Wer was will in der Koalition, das Geld kostet, muss an ihm vorbei. Jedenfalls solange er den Rückhalt des Kanzlers hat - und Olaf Scholz weiß sehr genau, dass es für ihn im Bund derzeit keine Machtoption jenseits der FDP gibt.

Für Lindner ist der aktuelle Haushaltsentwurf daher oberflächlich betrachtet ein Triumph. Er wollte die Schuldenbremse einhalten, die Schuldenbremse wird eingehalten - jedenfalls zunächst. Tatsächlich aber ist der erste Haushalt seit 2019, mit dem die Regierung die Schuldenregeln des Grundgesetzes wieder einhält, ein düsteres Zahlenorakel. Lindners Rechnung geht nur deshalb auf, weil er gut 40 Milliarden Euro aus einer alten Rücklage verfrühstückt. Gleichzeitig muss der Bund allein nächstes Jahr 30 Milliarden Euro einplanen, um seine Schulden zu bedienen. Die Zeiten, in denen die Bundesschuld ein zu vernachlässigender Haushaltsposten war, sind vorbei.

Der Spielraum des Staates ist auf Jahre hinweg sehr gering

Daneben muss die Rente inzwischen mit sagenhaften 112 Milliarden Euro gestützt werden, Tendenz steigend. Die Krankenversicherung kommt selbst mit einem aufgestockten Steuerzuschuss nicht mehr aus, weshalb Beitragserhöhungen bald auffressen werden, was die Regierung an anderer Stelle an milliardenschweren Entlastungen organisiert hat. Lieblingsprojekte der Ampel wie die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld oder die Aktienrente sind noch nicht berücksichtigt in dem Finanztableau, und die bittere Wahrheit ist: Viel werden sie nicht kosten dürfen. Der Spielraum des Staates bleibt auf Jahre hinaus eng. Schon in der nächsten Legislaturperiode müssen die Corona-Schulden getilgt werden, was ungefähr so viel kosten wird, wie der Bund laut Schuldenbremse an neuen Krediten aufnehmen darf. Für den Rest müssen dann die regulären Staatseinnahmen reichen.

Die Ampelpartner haben fundamental unterschiedliche Vorstellungen davon, wie der Staat mit Geld umgehen soll. Alle rufen "Entlastung", doch während die FDP darunter versteht, den Bürgern mehr zu lassen von ihrem Einkommen, wollen SPD und Grüne lieber mehr Geld einsammeln und es anschließend neu verteilen. SPD und Grüne würden auch lieber die Steuern erhöhen, als Abstriche am Regierungsprogramm zu machen. Lindner dagegen findet, Geld sei reichlich vorhanden und Steuererhöhungen seien in der Krise schädlich. Für eine große und wirklich sinnvolle Reform aber - niedrigere Steuern auf Arbeitseinkommen, höhere auf Kapitalerträge und Erbschaften - fehlt es über die Parteigrenzen hinweg an Kraft und Mut.

Die Konflikte, die jetzt aufbrechen, waren schon immer angelegt in der Ampel. Weil es aber die Konflikte sind, die auch in der Gesellschaft immer drängender werden, darf die Regierung ihnen nicht ausweichen. Alte und Junge, Wohlhabende und Arme, Kinderlose und Familien, Städter und Landmenschen, Hausbesitzer und Mieter: Die Interessen laufen überall auseinander. Sie auszugleichen wird noch viel schwieriger als den Haushalt.

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