MeinungGroße Koalition:Ein Reförmchen, das den Kindern schadet

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Von Wolfgang Janisch

Lesezeit: 3 Min.

Spielplatz gesperrt: In der Corona-Krise zeigte sich, wie schnell die Rechte von Kindern in den Hintergrund geraten.
Spielplatz gesperrt: In der Corona-Krise zeigte sich, wie schnell die Rechte von Kindern in den Hintergrund geraten. (Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Die Bundesregierung will die Kinderrechte im Grundgesetz verankern - aber sie versagt mit ihrem Entwurf im entscheidenden Punkt. Die Opposition sollte Nein sagen.

Wenn es so weitergeht, dann könnte man nächstes Jahr am 12. Juni ein schräges Jubiläum begehen: 30. Jahrestag der fehlgeschlagenen Bemühungen, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Damals, 1992, forderte die Konferenz der Jugendminister eine Ergänzung des Grundgesetzes: "Jedes Kind hat ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung." Es wurde nichts draus, seither versandete etwa ein Dutzend weiterer Vorstöße. Derzeit ist die Bundesregierung mit ihrem Entwurf vom Januar im Rennen. Aber weil für eine Verfassungsänderung Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat nötig sind, wird man mit der Opposition reden müssen. Die FDP sieht den aktuellen Vorschlag kritisch; Grüne und Linke halten ihn für zu mutlos, weil er keinen Fortschritt hin zu mehr Partizipation bringt. Wenn sich daran nichts ändert, könnte er scheitern.

In diesen Tagen werden die politischen Sondierungen fortgesetzt, die Zeit drängt. Man kann der Opposition nur empfehlen, bei ihrer ablehnenden Haltung zu bleiben. Denn mit dem Regierungsentwurf in der aktuellen Form haben Kinder nichts zu gewinnen. Aber sie haben etwas zu verlieren - nämlich die Chance auf ihre echte Aufwertung im Grundgesetz.

Es fehlt ein echtes Recht auf Partizipation

Das Problem ist nicht so sehr das, was im Entwurf steht. Dass Kindern ein "Recht auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit" zuerkannt werden soll, ist zu begrüßen, aber eben auch alles andere als neu. Das Bundesverfassungsgericht hat dies schon im Jahr 1968 aus dem Grundgesetz herausgelesen, das aktuelle Reförmchen geht keinen Millimeter darüber hinaus. Dass das Kindeswohl laut Entwurf "angemessen" zu berücksichtigen ist, dürfte ebenfalls wenig bringen; das Kindeswohl ist längst Leitschnur für Gerichte und Behörden. Und dass die Union die "Erstverantwortung der Eltern" verbrieft wissen will, spiegelt ihre Sorge wider, der Staat könnte bald sozialistisch in die Familien hineinregieren. Aber das Recht der Eltern ist schon jetzt stark ausgeprägt, dafür hat ebenfalls das Verfassungsgericht gesorgt.

Nein, unzureichend ist der Entwurf, weil er eine Lücke aufweist, die das Reformprojekt einfach sehr, sehr alt aussehen lässt. Es fehlt ein echtes Recht der Kinder auf Partizipation. Dabei sind nach Alter gestaffelte Entscheidungs- und Beteiligungsrechte von Minderjährigen längst in internationalen Abkommen und nationalen Gesetzen niedergelegt. Mit 14 darf man seine Religion wählen oder abwählen, mit 15 darf man Sozialleistungen beantragen (falls die Eltern nicht widersprechen). Einfache Paragrafen sind weiter als das wichtigste deutsche Gesetz - und die Koalition will, dass dies so bleibt. Im Entwurf ist nur der Anspruch auf "rechtliches Gehör" enthalten, der aber seit 72 Jahren im Grundgesetz steht, für alle Menschen, also auch für Kinder. Dabei hätte man nur aus der UN-Kinderrechtskonvention abschreiben müssen, die in Deutschland seit fast drei Jahrzehnten gilt. Dort steht in Artikel 12: "Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife."

Kinder und Jugendliche sind mehr als Objekte der Fürsorge

Kinder sollen mitreden dürfen - damals war dies eine Revolution. Denn Kinderrechte, das bedeutete traditionell Schutz und Fürsorge. Das Verbot der Fabrikarbeit von Kindern im England des 19. Jahrhunderts. Die Bekämpfung des Mädchenhandels in einem Abkommen von 1910. Das Verbot körperlicher Züchtigung, auf das sich die Bundesrepublik erst 1983 (die DDR schon 1949) verständigt hatte. Es galt, die Schwächsten der Gesellschaft vor Schmerz, Leid und Vernachlässigung zu bewahren. Diese Perspektive hat sich mit der Kinderrechtskonvention geweitet. Kinder sollten als Subjekte behandelt werden, mit einem Recht auf Beteiligung und Achtung ihrer wachsenden Fähigkeiten. Es war die Abkehr vom paternalistischen Konzept, in dem Eltern und Staat über die Köpfe der Kinder hinweg entscheiden.

Familie
:"Ich kann meine Kinder jetzt beschützen"

Man hätte die Kinder wegen akuter Gefährdung von ihren Eltern trennen können. Oder man traut sich das, was ein Jugendamt tat - und schickt die ganze Familie zum Leben nach Italien. Vom Glück, neu anzufangen.

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Auch in der Breite der Gesellschaft ist der Gedanke angekommen, dass Kinder und Jugendliche mehr sind als Objekte der Fürsorge. Sie wollen und sollen in dieser Gesellschaft mitreden und mitgestalten, vor allem, wenn es um ihre Belange geht. Die älteren mehr, die jüngeren weniger, aber Partizipation beginnt früh. In Kitas gibt es Kinderparlamente, in Schulen die Schülermitverantwortung, in Kommunen werden Kinder bisweilen in die Spielplatz- oder Schulwegplanung einbezogen. Und wie verantwortungsbewusst junge Menschen agieren können, weiß man spätestens seit den politisch so notwendigen Klima-Kundgebungen von "Fridays for future".

Gewiss: All dies existiert bereits, ohne kluge Verfassungsartikel. Aber wenn das Grundgesetz, wie es im Entwurf heißt, Kinderrechte "sichtbar" machen soll, dann muss es auf der Höhe der Zeit sein. Eine Reform ohne Fortschritt ist ein Rückschritt. Die Opposition sollte die Grundgesetzänderung blockieren.

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