Labour-Partei:Sieger nach Punkten

Großbritannien: Wahlhelfer an einem Labour-Stand

Souvenirs bietet die Labour-Partei schon einmal an. Ob sie ihren Vorsprung bei den Wählern halten kann, ist noch ungewiss.

(Foto: Henry Nicholls/Reuters)

Obwohl die Briten die Partei deutlich besser bewerten als die Konservativen, haben die Politiker um Keir Starmer ein Problem: Sie trauen ihrer eigenen Stärke nicht.

Kommentar von Michael Neudecker

Die Labour-Partei, sagt der Londoner Politikprofessor Anand Menon am Mittwoch am Telefon, sei wie Arsenal in den vergangenen Jahren: "Sie führen 2:0, und trotzdem haben sie Angst, dass sie verlieren." Fußball-Analogien gehen in England immer, der Vergleich zwischen Arsenal London und Labour aber ist jetzt besonders gut - nicht nur, weil Labour-Chef Keir Starmer gerne betont, dass er leidenschaftlicher Arsenal-Fan ist. Der Verein hat mit dem Trainer Arsène Wenger zuletzt 2004 den Meistertitel gewonnen, danach wurde die Mannschaft immer zerbrechlicher. Das Misstrauen gegenüber der eigenen Stärke ist bis heute da.

Gäbe es eine Tabelle der politischen Parteien im Vereinigten Königreich, wäre Labour derzeit dort, wo Arsenal in der Premier League steht: auf Platz eins. In Umfragen ausgedrückt beträgt der Vorsprung zu den Tories 17 Punkte, das ist der größte Abstand seit 20 Jahren. Damals war ein gewisser Tony Blair Premierminister. Der Parteitag in Liverpool verlief entsprechend blendend, jenseits der großen Bühne im Saal aber blieb jene vorsichtig geflüsterte Skepsis, die Menon zum Arsenal-Vergleich brachte. Labour hat in den vergangenen zwölf Jahren so oft und teils so deutlich Wahlen verloren, dass die Skepsis wohl erst verschwindet, wenn der Titel beziehungsweise die Wahl tatsächlich gewonnen ist.

Es wurden in Liverpool oft Parallelen gezogen zur New-Labour-Zeit mit Tony Blair und Gordon Brown, jenen Jahren, in denen Labour phasenweise so populär war wie nie zuvor und nie danach. Am Mittwoch etwa hatte die stellvertretende Labour-Chefin Angela Rayner einen Brown-Moment, als sie die Errungenschaften früherer Labour-Regierungen aufzählte, ihre Stimme dabei immer mehr hob und die Leute im Saal aufsprangen und jubelten, während Rayner weitersprach - wie einst Gordon Brown auf dem Parteitag. Nur, Angela Rayner ist nicht Gordon Brown, Keir Starmer ist nicht Tony Blair. New Labour war keine Zeit der Skepsis und vor allem waren die nächsten Wahlen damals nicht zwei Jahre entfernt.

Liz Truss wäre töricht, würde sie jetzt Neuwahlen ansetzen

Natürlich verlangen alle Oppositionsparteien jetzt Neuwahlen, Truss aber wäre töricht, würde sie tatsächlich vor Ende 2024 eine Neuwahl ausrufen. Dass die Tories, die mit Johnson 2019 noch eine 80-Sitze-Mehrheit holten, derzeit auch nur in die Nähe eines Wahlsieges kämen, ist kaum vorstellbar. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass sich die Lage im Land und damit auch für Liz Truss wieder bessert, wenn der Winter vorbei ist und die Energieausgaben sinken. Wahrscheinlicher aber scheint, dass Labour mit Kapitän Starmer im nächsten Jahr auf 3:0 oder 4:0 erhöht. Auch ein 5:0 erscheint möglich.

Dabei sind Keir Starmers Umfragewerte nicht mehr als solide. Er ist kein Instinktpolitiker, auch kein mitreißender Redner, alles, was er tut, ist mehrfach abgewogen. Für die ersten Jahre als Labour-Chef hat er sich einen Drei-Phasen-Plan vorgenommen, an dem er bisher stur festhielt, als befinde er sich in einem abgeschotteten Kellerlabor. Nach Phase eins (die Partei reformieren) und Phase zwei (die Schwächen der Regierung aufzeigen) beginnt nun Phase drei: seine Partei als Regierungspartei positionieren. Phase eins hakte Starmer alleine ab, bei Phase zwei half ihm Boris Johnson. In Phase drei könnte nun Liz Truss zu seiner wichtigsten Spielerin werden. Nein, Keir Starmer ist nicht Tony Blair. Aber das muss er vielleicht auch gar nicht sein.

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