Süddeutsche Zeitung

Staatsschulden:Was Europa aus der Schuldenkrise lernen kann

Die EU entlässt Griechenland aus der Finanzüberwachung. Das spricht für die Reformkraft des Landes. Nun muss die Euro-Zone nur noch für den nächsten Notfall vorsorgen.

Kommentar von Stefan Kornelius

Unter den vielen europäischen Krisen der vergangenen Jahre sticht das Euro- und Staatsschulden-Drama heraus, das die Gemeinschaft von 2010 an in den Abgrund schauen und das hochverschuldete Griechenland 2015 beinahe implodieren ließ. Sieben Jahre ist das her, aber vorüber ist es nicht, auch wenn Griechenland nun ohne viel Tamtam aus der "verschärften Überwachung" der EU entlassen wurde.

Das Land hat damit die Hoheit über seine Finanzpolitik wiederbekommen, es geht verantwortungsvoll mit dem geliehenen Geld um. Für die Finanzmärkte und Investoren ist das ein Gütesiegel, das Griechenland nur helfen kann bei seinem Reform- und Wachstumskurs. Das Land ist zwar noch immer stark verschuldet, zu viele Menschen leben an der Armutsgrenze. Aber Wachstum und Beschäftigung zeugen von Reformerfolg.

In Deutschland genügt die Erinnerung an den radikal linken Finanzminister Yanis Varoufakis, um das Drama lebendig zu machen. Varoufakis wollte 2015 als eine Art finanzpolitischer Selbstmordattentäter die Euro-Zone mitreißen in einen Verschuldungswahnsinn, den niemand gegen die Märkte hätte gewinnen können. Dass es nicht so weit kam, grenzt an ein Wunder. Varoufakis trat zurück, der nicht minder pokerwillige Premier Alexis Tsipras wendete in letzter Sekunde den Staatsbankrott ab, was der Kompromisswilligkeit der deutschen Bundeskanzlerin und der Penetranz des französischen Präsidenten zu verdanken war. Wolfgang Schäuble, damals Finanzminister, hatte Griechenland gedanklich schon aus der Euro-Zone geworfen. Angela Merkel ließ das nicht zu.

In einem Politikerleben kommt es selten zu einem derart dramatischen Entscheidungsmoment, wo Chancen und Risiken nicht mehr vernünftig abzuwägen sind, die Kosten freilich ins Unermessliche steigen, wenn die Operation misslingt. Wäre Griechenland zahlungsunfähig geworden, dann wären zunächst Italien, später andere Schuldenländer bis hin zu Frankreich in den Strudel geraten - Bankenkollaps, Zahlungsausfälle, Bankrotte, Arbeitslosigkeit. Hätte Griechenland die Euro-Zone zwangsweise verlassen müssen (wie genau der Rauswurf funktionieren sollte, weiß niemand), hätte sich auch hier ein Abgrund aufgetan: Kollaps einer Volkswirtschaft, Armut, Radikalisierung, ein politischer Bruch mit der EU, eine mögliche Hinwendung zu China und Russland.

Griechenland wäre für Russland oder China ein geopolitischer Leckerbissen

Heute ist das geopolitische Risiko eines griechischen Euro- und wohl auch EU-Austritts noch besser zu verstehen. Die Türkei könnte einen taumelnden Nachbarn leichter in einen Krieg verwickeln, Russland und China würden sich an der Südostflanke Europas und in unmittelbarer Nachbarschaft des entzündlichen Balkans über einen Tag der offenen Tür freuen.

Hätte, wäre, könnte. Der Konjunktiv ist nicht mehr nötig, Griechenland hat sich gefangen. Nötig wäre es hingegen, die Lehren dieser Megakrise ernst zu nehmen. Denn noch immer ist die Euro-Zone trotz Stabilisierungsmechanismen und Frühwarnsystemen alles andere als krisenfest. Am Ende war es die Europäische Zentralbank, die den Spekulationshunger der Finanzmärkte mit einer Geldschwemme gestillt hat. Überschuldete Staaten gibt es in der Euro-Zone heute mehr als genug. Haushaltsdisziplin ist in Pandemie- und Kriegszeiten selbst im Schuldenbremsen-Deutschland abgeschafft. Europa gehen also die Krisen nicht aus - und Staatsschulden können sehr schnell wieder zur größten Last der Gemeinschaft werden.

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