Golfregion:Der Rückzug

Ein Präsident Biden wird berechenbarer und kooperativer agieren als Präsident Trump. Doch auch er wird die vielen Probleme der Region nicht lösen. Europa muss sich darauf einstellen.

Von Paul-Anton Krüger

Eine "Flut" von Sanktionen gegen Iran hat die scheidende US-Regierung von Präsident Donald Trump bereits angekündigt. Nun hat der Oberbefehlshaber noch einmal Optionen für einen Militärschlag mit Beratern diskutiert. Sie haben ihn offenbar davon abbringen können. Dennoch muss die Episode Sorge wecken, gerade in Europa - auch weil Trump Schlüsselposten im Pentagon für seine verbleibende Amtszeit mit treu ergebenen Hofschranzen besetzt hat.

Es war kaum Zufall, dass die Beratungen im Weißen Haus an die New York Times durchgestochen wurden, es ist der Versuch, eine Eskalation mit unübersehbaren Folgen für den gesamten Nahen Osten zu verhindern. Eine solche Eskalation könnten amerikanische Marschflugkörper auf Atomanlagen oder die Revolutionsgarden ebenso in Gang setzen wie eine massive Cyber-Attacke. Es gab schon in den vergangenen Monaten Explosionen in militärischen Einrichtungen und in der Anreicherungsanlage Natanz, die sich kaum als Aneinanderreihung von Zufällen erklären lassen. Das sieht eher nach einer Sabotage-Kampagne der Geheimdienste aus.

Trump hat weder einen Regimewechsel noch einen Deal erreicht

Was Trump noch vorhat, ist ebenfalls Sabotage. Gerichtet ist sie gegen den zu erwartenden Kurswechsel seines gewählten Nachfolgers Joe Biden. Der hat angekündigt, die USA in das Atomabkommen mit Iran zurückzuführen und es gegenüber Teheran wieder mit Diplomatie zu versuchen. Trumps Politik des maximalen Drucks und der unilateralen Sanktionen hat Iran zwar sehr geschadet, aber anders als prophezeit weder einen Regimewechsel erbracht noch einen Deal zu Trumps Konditionen.

Die Golfregion sieht einer neuen Phase der Instabilität und der Machtverschiebungen entgegen, das Risiko neuer Kriege steigt. Auswirkungen wird das Ringen um regionale Hegemonie auch an der Levante haben und für Amerikas engsten Verbündeten in der Region, Israel. Die USA sind militärisch handlungsfähig, politisch aber fallen sie als Führungs- und Gestaltungsmacht aus - und auch als mäßigender Faktor.

Trumps überhasteter Abzugsplan trifft Irak inmitten eines erbitterten Machtkampfs. Von Iran gesteuerte Milizen versuchen, ihren Einfluss dort zu festigen, im Sommer stehen Wahlen an. Derweil gewinnt die in den Untergrund gedrängte Terrormiliz Islamischer Staat neue Stärke. Die Kurden fürchten einen Abzug der USA sowohl im Irak als auch in Syrien. Dort werden sie zwischen der Türkei und dem Assad-Regime aufgerieben, einem Klienten Irans. Und Israel versucht, noch schnell neue Siedlungen zu bauen, bevor wieder ein Befürworter einer Zwei-Staaten-Lösung im Weißen Haus einzieht.

Allerdings sollte sich auch niemand zwischen Paris, London und Berlin zu viel von einem Präsidenten Biden erwarten. Gewiss, es wird mehr multilaterale Zusammenarbeit, mehr Rücksicht und mehr Realismus geben. Und Biden wird einen Ausgleich suchen mit Iran - allerdings mit völlig unklaren Erfolgsaussichten, denn auch dort wird ein neuer Präsident gewählt. Biden wird aber nicht den unter seinem einstigen Chef Barack Obama initiierten Rückzug aus der Region revidieren, geschweige denn wieder eine massive US-Präsenz aufbauen. Er wird auch nicht die vielfältigen Probleme lösen, die in Obamas Zeit oder noch weiter zurückreichen. Mit deren Folgen aber wird sich Europa unweigerlich konfrontiert sehen. Es ist an der Zeit, sich dem zu stellen.

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