Süddeutsche Zeitung

Hasskriminalität:Nur 20 Prozent

Die politisch motivierte Gewalt nimmt stetig zu. Wie bestürzend die Situation ist, lässt sich in einer Zahl ausdrücken.

Kommentar von Ronen Steinke

Man kann zur politisch motivierten Kriminalität, also zu Attacken gegen Muslime, Juden, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und andere, alle möglichen Polizei-Statistiken lesen. Jedes Jahr gibt es neue, und in diesem Jahr gibt es wie schon im vergangenen Jahr die Meldung, verkündet von der Bundesinnenministerin Nancy Faeser: Die Zahlen sind so hoch wie noch nie. 22 000 Delikte hier, 10 000 Straftaten dort. Man kann diese ganzen Statistiken aber auch beiseitelegen und sich einmal klarmachen, dass es eine einzige Zahl gibt, die noch mehr aussagt als das alles. Diese Zahl ist: 20 Prozent.

Nur in 20 Prozent der Fälle erstatten Opfer überhaupt Anzeige. Nur in 20 Prozent der Fälle wenden sich Menschen, die rassistisch, antisemitisch, homophob und so weiter attackiert worden sind, überhaupt an die Polizei. Das zeigen Befragungen seit Jahren. Das heißt, die offiziellen Zahlen zeigen nur einen Splitter der Wahrheit. Dass der Prozentwert so bestürzend niedrig ist, hängt oft mit geringen Erwartungen zusammen, die Betroffene haben: Man werde sie wahrscheinlich sowieso nicht ernst nehmen, glauben manche; das ist furchtbar. Es hängt auch mit realen, schlechten Erfahrungen zusammen, die viele gemacht haben; das ist noch schlimmer.

Es ist dann nicht nur schlecht, wenn die offiziellen Zahlen jetzt steigen. Es gibt ein Paradox: Gerade eine Polizei, die Vertrauen in migrantischen und anderen Minderheiten-Gemeinschaften (zurück-)gewinnt, wird von den Betroffenen mehr Hassverbrechen gemeldet bekommen - also noch schrecklichere Zahlen zu vermelden haben. Die neue Sensibilität für das Thema, die der BKA-Chef Münch und insbesondere die Innenministerin Faeser ausstrahlen, die man aber auch in der Fläche in etlichen Polizeibehörden in den Ländern nicht übersehen kann, hilft da. Wie sehr sich das schon in der Statistik niederschlägt, kann noch niemand seriös sagen. Aber es ist bitter nötig und überfällig.

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