Er war kein Held. Er war kein Heiliger. Er war ein zurückhaltender, sensibler und angesehener DDR-Rechtswissenschaftler, ein marxistischer Gelehrter; er war der letzte Dekan der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in Jena vor der Wende, Verfasser eines Standardwerks über die DDR-Staatsbürgerschaft; er gehörte Anfang 1990 zu den Autoren eines Verfassungsentwurfes für das neue Bundesland Thüringen. Er war Abgeordneter in der frei gewählten, letzten Volkskammer der DDR. Und zuletzt, als Sechzigjähriger, war er ein unauffälliger Parlamentarier der PDS im Deutschen Bundestag zu Bonn. Aber dort wurde er, das kann man in den Parlamentsprotokollen nachlesen, behandelt wie der letzte Dreck. Er hieß Gerhard Riege. Vor dreißig Jahren, im Februar 1992, hat sich Riege in seinem Schrebergarten in Geunitz bei Jena erhängt; er konnte die Demütigungen nicht mehr aushalten.
Die Wunden der Einheit:Moral-Monopoly
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Vor dreißig Jahren nahm sich der PDS-Abgeordnete Gerhard Riege das Leben - aus Angst vor dem Hass gegen ihn. Über einen nachdenklichen Mann und westdeutsche Überheblichkeit.
Kolumne von Heribert Prantl
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