Die Wunden der Einheit:Moral-Monopoly

Die Wunden der Einheit: Im Tode betrauert, im Leben vom Hass verfolgt: Im Büro des PDS-Bundestagsabgeordneten Prof. Gerhard Riege tragen sich Bürger in das Kondolenzbuch ein (1992).

Im Tode betrauert, im Leben vom Hass verfolgt: Im Büro des PDS-Bundestagsabgeordneten Prof. Gerhard Riege tragen sich Bürger in das Kondolenzbuch ein (1992).

(Foto: Jan-Peter Kasper/picture-alliance / ZB)

Vor dreißig Jahren nahm sich der PDS-Abgeordnete Gerhard Riege das Leben - aus Angst vor dem Hass gegen ihn. Über einen nachdenklichen Mann und westdeutsche Überheblichkeit.

Kolumne von Heribert Prantl

Er war kein Held. Er war kein Heiliger. Er war ein zurückhaltender, sensibler und angesehener DDR-Rechtswissenschaftler, ein marxistischer Gelehrter; er war der letzte Dekan der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät in Jena vor der Wende, Verfasser eines Standardwerks über die DDR-Staatsbürgerschaft; er gehörte Anfang 1990 zu den Autoren eines Verfassungsentwurfes für das neue Bundesland Thüringen. Er war Abgeordneter in der frei gewählten, letzten Volkskammer der DDR. Und zuletzt, als Sechzigjähriger, war er ein unauffälliger Parlamentarier der PDS im Deutschen Bundestag zu Bonn. Aber dort wurde er, das kann man in den Parlamentsprotokollen nachlesen, behandelt wie der letzte Dreck. Er hieß Gerhard Riege. Vor dreißig Jahren, im Februar 1992, hat sich Riege in seinem Schrebergarten in Geunitz bei Jena erhängt; er konnte die Demütigungen nicht mehr aushalten.

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Kolumne von Heribert Prantl

Heribert Prantl ist seit 1. März 2019 Kolumnist und ständiger Autor der Süddeutschen Zeitung. Zuvor leitete er das Ressort Meinung sowie die Innenpolitik und war Mitglied der Chefredaktion. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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