Süddeutsche Zeitung

München:Der Rauswurf von Gergiev ist ein trauriger Akt

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Die Stadt München hat vom russischen Chefdirigenten ihrer Philharmoniker verlangt, sich von Putin zu distanzieren. Das war womöglich etwas zu viel verlangt.

Kommentar von Detlef Esslinger

Dieser Vorgang gereicht niemandem zur Ehre, Valery Gergiev sowieso nicht, aber dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter auch nicht. Reiter hat am Dienstag die Zusammenarbeit mit dem russischen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker für beendet erklärt. Er schließt sich damit Entscheidungen an, die bereits die Mailänder Scala, die Wiener Philharmoniker und das Luzern-Festival getroffen haben. Überzeugend begründet ist die Entscheidung nicht. Doch auch Gergiev hat über die Jahre wohl dazu beigetragen, dass es so weit gekommen ist.

Der Rauswurf war seit Freitag abzusehen. Da hatte Reiter dem Dirigenten einen Brief geschrieben, den er sogleich veröffentlichte und in dem er ihn aufforderte, "ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine" zu setzen. Indem der OB dazu ein Ultimatum setzte ("bis Montag, 28. Februar") statt werbend zu formulieren, indem er den Angeschriebenen zugleich der Öffentlichkeit aussetzte, ahnte er natürlich, dass er das verlangte Zeichen nicht bekommen würde. Gergievs Antwort bestand darin, Reiter nicht einmal zu antworten.

Niemand scheint zu wissen, was Valery Gergiev über den Überfall auf die Ukraine denkt; jedenfalls deutet der OB keine Kenntnis dazu an. Bekannt ist, dass der Dirigent dem Präsidenten seit Langem nahesteht. Er besuchte eine Waffenschau mit ihm, spielte nach der Rückeroberung durch russische Truppen im syrischen Palmyra. Darüber hatte es immer wieder Debatten gegeben, seit er 2015 in München anfing - ein Jahr nach der Annexion der Krim. Mehrere Medien berichteten damals, dass er dies in einem offenen Brief unterstützt hatte.

Gergiev hat seinen Lebensmittelpunkt nicht in Deutschland, sondern in Russland

Nun ist es sehr leicht, aus der sicheren Existenz eines Oberbürgermeisters von München heraus Gergiev ausgerechnet jetzt eine Distanzierung abzuverlangen - und dabei auch noch aufs eigene Heldentum zu verweisen: "Ich habe mich öffentlich deutlich dazu positioniert", schreibt Reiter, allen Ernstes. Aber zu Ende gedacht ist das nicht. Denn kann man jemandem eine demonstrative Distanzierung abverlangen, der seinen Lebensmittelpunkt in Russland hat, der in St. Petersburg das Mariinski-Theater leitet, welches nicht nur das Projekt seines Lebens ist, sondern wo auch zahlreiche Existenzen abhängen von ihm?

Man kann ja durchaus der Meinung sein, dass Gergiev bereits nach dem Besuch der Waffenschau oder dem Auftritt in Palmyra nicht mehr über alle Zweifel erhaben war. Dann hätte man jedoch 2018 den Vertrag mit ihm nicht verlängern dürfen - beziehungsweise sollte man eine seit Langem schwelende Skepsis jetzt offen benennen. Aber ihn neulich erst die Eröffnung der Isarphilharmonie dirigieren lassen, jetzt aber nur anführen, dass er nicht "Schäm dich, Putin" ruft? Würde Gergiev öffentlich den Überfall unterstützen, wäre es etwas anderes. Aber das tat er bislang nicht.

Es ist ein Unterschied, ob einer sich lieber nicht distanziert - oder ob er, im Gegenteil, öffentlich Menschen preist, die so viel Elend über ganze Völker bringen. Darauf hat in der Gegenwartskunst ja Peter Handke das Copyright. Der bekommt trotzdem den Nobelpreis. Aber Gergiev soll nicht einmal mehr dirigieren dürfen, nach dem Motto: Wenn er sich nicht laut gegen Putin stellt, kann er ja wohl auch jetzt nur ein Komplize sein. Jeder Tag bringt derzeit neue Eskalationen, große und kleine, und wozu das führt, weiß kein Mensch.

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