Süddeutsche Zeitung

Globale Mindeststeuer:Glück des Zufalls

Die globale Mindeststeuer ist historisch, die Pläne der G-7-Finanzminister epochal: Das goldene Zeitalter der Steueroasen könnte zu Ende gehen. Für Finanzminister Scholz kommt der Durchbruch gerade recht.

Kommentar von Cerstin Gammelin

Falls es ein Naturgesetz geben sollte, wonach sich politische Erfolge automatisch in Wählergunst umwandeln, müsste Olaf Scholz im Juli einen gewaltigen Sprung nach vorne machen. Denn so, wie es jetzt aussieht, könnte in sechs Wochen eine globale Steuerreform beschlossen werden, die das Prädikat historisch verdient. Und von der der Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat für sich reklamieren kann, sie maßgeblich mit angestoßen zu haben. Die Rede ist von der Einführung einer globalen Mindeststeuer.

Wenn man weiß, dass bei diesem Thema jahrzehntelang nichts ging, sind die Fortschritte geradezu schwindelerregend. Am Wochenende beim Treffen der G7 erschien es fast wie reine Formsache, dass sich die Finanzminister der wichtigsten Staaten der westlichen Welt auf die Steuer einschworen. Künftig sollen Unternehmen einen Mindestsatz an Steuern zahlen, mindestens fünfzehn Prozent sind avisiert. Selbst wenn ein höherer Satz besser gewesen wäre, an dem gewaltigen Fortschritt ändert das nichts.

Gelingt es, diese Mindeststeuer wirklich für alle Staaten verpflichtend einzuführen, wäre Schluss mit Steuerdumping. Schluss mit unfairem Wettbewerb über die niedrigsten Steuern, die sich auswirken auf Löhne, Arbeitsbedingungen und soziale Sicherheiten. Die Mindeststeuer bildet dann eine Untergrenze für die nationalen Steuersätze, drunter ginge nichts, drüber aber schon. Das goldene Zeitalter der Steueroasen wäre vorbei.

Wenn es um die künftige Aufteilung der Steuern geht, wird es knifflig

Die Reform beschert dem Bundesfinanzminister unerwartet doch noch ein exzellentes Arbeitszeugnis. Scholz hatte sich in seiner Amtszeit einigen Steuervorhaben verschrieben, ohne dass er Erfolg gehabt hätte. Man erinnere sich an die kläglich verendete Finanztransaktionsteuer oder die unerledigt gebliebene Abschaffung der pauschalen Besteuerung von Kapitalerträgen. Das mag nicht an ihm gelegen haben, sondern an fehlenden Mehrheiten in Europa und in der Koalition. Umgekehrt liegt der Umstand, dass er sich mit seiner Idee einer Mindeststeuer nun gleich weltweit Gehör verschaffen kann, nicht an seiner neuen Durchsetzungskraft als Kanzlerkandidat. Sondern daran, dass der mächtigste globale Player, US-Präsident Joe Biden, die Mindeststeuer will und braucht: zur Finanzierung seines geplanten billionenschweren Infrastrukturprogramms.

Aber man muss Scholz zugestehen, dass er das richtige Gespür hatte. Die bisherigen Regeln stammen aus dem vergangenen Jahrhundert. Jedes Land konnte so viel Steuern erheben, wie es wollte. Und erhoben wurden sie dort, wo die Unternehmen ihren Sitz hatten. Wegen dieser Regeln zahlen die deutschen Autobauer, die ihre Wagen weltweit verkaufen, in Deutschland einen erheblichen Teil ihrer Steuern. Wegen dieser Regeln zahlen andererseits US-Tech-Konzerne, jenseits der USA, oft gar keine Steuern. Amazon hat es geschafft, trotz des coronabedingten Rekord-Umsatzes im vergangenen Jahr einen Verlust in Europa auszuweisen. Ökonomen rechnen mit mindestens 200 Milliarden Dollar jährlich, die den Staaten wegen der ausgetüftelten Steuervermeidungskonzepte flöten gehen.

Hinzu kommen Hunderte Milliarden Euro, die jährlich in Steueroasen landen. Jede Debatte um Steuererhöhungen erübrigte sich, würden diese Gelder an die Haushaltskassen abgeführt. Die Mindeststeuer wäre ein Beitrag für mehr Gerechtigkeit, global wie national.

Noch aber ist es nicht die Zeit, in Jubel zu verfallen. Denn wenn es um die künftige Aufteilung der Steuern geht, wird es knifflig. Es geht ja nicht nur um einen Mindestsatz, sondern darum, dass die großen Konzerne auch in jenen Ländern mehr Steuern abführen, in die sie ihre Produkte verkaufen. Konkret heißt das, Apple würde auch in Staaten besteuert, in denen iPhones nur verkauft, nicht aber hergestellt werden; Länder mit großen Märkten wie China würden davon profitieren.

Stellte man komplett darauf um, müssten die Unternehmen der Exportnation Deutschland wohl künftig außerhalb der Heimat deutlich mehr Steuern zahlen. Bisher ist eine Umstellung in großem Stil nicht geplant. Die neue Aufteilung soll nur für die weltweit mit Abstand größten und profitabelsten Unternehmen gelten - die Tech-Konzerne.

Für den Kandidaten Scholz sieht es auf der politischen Habenseite nicht schlecht aus. Mit dem Glück des Zufalls kann er zwei Monate vor der Bundestagswahl darauf verweisen, maßgeblich eine globale Steuerreform für mehr Gerechtigkeit angestoßen zu haben. Ob sie in der Praxis taugt, wird sich erst Jahre nach der Wahl zeigen. Für Scholz wird der politische Glaubwürdigkeitstest dagegen schon der Wahltag sein.

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